Auswandern. Raus aus Deutschland
Shownotes
"Auswandern war eine Befreiung und auch eine Abstimmung mit den Füßen". Sagt die Historikerin und Migrationsforscherin Simone Blaschka im historycast. Etwa sechs Millionen Deutsche schifften sich bis zum Ersten Weltkrieg, meist in Bremerhaven und Hamburg, ein und suchten ihr Glück in Übersee, vor allem in den USA. Zuvor war etwa eine dreiviertel Million Deutsche über die trockene Grenze ausgewandert - Richtung Osten, vor allem nach Russland. Sie alle hofften auf ein besseres Leben, aber auch mehr Freiheit. Die wirtschaftliche Not in Deutschland und Überbevölkerung waren die Hauptursachen der deutschen Migration. Die Auswanderer sorgten in ihrer neuen Heimat für Aufschwung und Wohlstand. Und etwa 20 Prozent kamen zurück. "Sie haben im Deutschen Kaiserreich viel angestoßen, was ohne sie gar nicht passiert wäre", so Historikerin Blaschka.
Dr. Simone Blaschka leitet das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven. Dieses Museum war das erste, das sich in Deutschland dem Thema Migration widmete.
Dr. Heiner Wember ist Radiojournalist und Historiker aus Münster.
Staffel 4, Folge 9 des historycast - was war, was wird? des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands e. V. [http://geschichtslehrerverband.de]
Gefördert wird das Projekt durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte.
Deutsche Auswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert – Gründe, Routen und Schicksale
Zwischen 1816 und dem Ende der Weimarer Republik wanderten etwa sechs Millionen Deutsche nach Übersee aus, überwiegend in die USA. Die wichtigsten Motive waren wirtschaftliche Not, Überbevölkerung, fehlendes Land und strukturelle Arbeitslosigkeit in Handwerk und Landwirtschaft. Hinzu kamen politische Gründe, insbesondere nach der Revolution von 1848: die sogenannten 48ers prägten später die amerikanische Politik mit, etwa Carl Schurz als Innenminister. Das 19. Jahrhundert war in Deutschland durch starkes Bevölkerungswachstum geprägt. In vielen Dörfern – etwa in Niedersachsen – herrschte verdeckte Arbeitslosigkeit bis zu 30 %. Mit der erst langsam einsetzenden Industrialisierung fanden viele Menschen keinen Platz mehr in den alten Berufen. Auch Kettenmigration spielte eine Rolle: Wer erfolgreich ausgewandert war, zog weitere Menschen aus der alten Heimat nach. Neben wirtschaftlichen und politischen Ursachen gab es religiöse Motive (insbesondere im 17./18. Jahrhundert) sowie den pragmatischen Export von Strafgefangenen nach Amerika durch deutsche Staaten. Der oft kolportierte „Abenteurerdrang“ war dagegen ein Mythos – Auswanderung war eine wohlüberlegte, riskante Lebensentscheidung.
Land- und Seewanderung Vor der großen Übersee-Auswanderung zog es viele Deutsche Richtung Osten, etwa an die Wolga oder nach Bessarabien. Katharina II. warb gezielt Siedler an und versprach Unterstützung – Versprechen, die häufig nicht eingehalten wurden. Ab 1830 entwickelte sich Bremerhaven neben Hamburg zum wichtigsten deutschen Auswandererhafen. Der Transport war teuer: Eine Überfahrt entsprach oft einem Jahreseinkommen eines Handwerkers. Entgegen gängiger Vorstellungen waren die Migranten meist nicht die Ärmsten, sondern Familien aus der unteren Mittelschicht, die Kapital für den Neuanfang besaßen.
Überfahrt und Reedereien Die Reise erfolgte zunächst auf Segelschiffen, oft unter katastrophalen Bedingungen im Zwischendeck. Hohe Sterblichkeit durch Krankheiten wie Ruhr, fehlende Hygiene und Enge prägten den Alltag. Erst durch gesetzliche Vorschriften – etwa in Bremen ab 1832 – verbesserten sich Verpflegung und Sicherheit. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts dominierten Dampfschiffe. Große Reedereien wie Norddeutscher Lloyd (Bremen) und Hapag (Hamburg) konkurrierten mit internationalen Linien. Später entstanden luxuriöse Oceanliner, die nicht nur Auswanderer, sondern auch wohlhabende Touristen beförderten. Besonders bekannt wurde die von Albert Ballin geschaffene „Ballinstadt“ in Hamburg als Auswandererzentrum.
Ankunft in Amerika Die meisten Deutschen reisten über New York ein, oft über Ellis Island, wo strenge Einreisekontrollen bestanden. Bis zu 3 % wurden zurückgeschickt, vor allem Arme oder Kranke. Wer es schaffte, zog häufig in den Mittleren Westen, nach Pennsylvania oder Texas, wo Land und Arbeit lockten. Deutsche gründeten Siedlungen, Farmen und Unternehmen. Bekannte Biografien sind Johann August Röbling (Erbauer der Brooklyn Bridge), Levi Strauss (Erfinder der Jeans) und Friedrich Trump, Großvater von Donald Trump. Aber auch unzählige „namenlose“ Migranten, wie die Bäckersfrau Martha Hüner, schrieben Geschichten von Integration und Scheitern.
Folgen von Migration Rund 20 % der Auswanderer kehrten zurück nach Deutschland, viele brachten Ideen, Kapital und Innovationen mit. Migration war damit auch Motor von wirtschaftlicher Modernisierung und kulturellem Austausch. Beispiele sind das Bandoneon nach Argentinien, das deutsche Bier nach Amerika oder Firmengründungen wie Heinz Ketchup. Insgesamt emigrierten im „langen 19. Jahrhundert“ (1800–1914) rund 44 Millionen Europäer, davon sechs Millionen Deutsche. Deutschland ist deshalb nicht nur ein Einwanderungsland, sondern zugleich ein klassisches Auswanderungsland.
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BLASCHKA: Das ist eine Entwicklung, die, wenn man sich das anschaut, was von dem Mittelalter bis heute passiert ist, wirklich eine Befreiung war und auch eine Abstimmung mit den Füßen war. Man hat den Landesherren gezeigt: Nein, so wie du mich behandelst, das ist nicht in Ordnung, ich gehe. Und die Landesherren haben ja auch dann schnell reagiert: Auswanderungsverbote herrschten. Man sprach von der Auswanderungs-Sucht. Die Landesherren und Landesherrinnen waren richtig schockiert über das, was da passierte. Dass die Menschen diese Macht auf einmal hatten. Steuerzahler gingen verloren, Soldaten gingen verloren.
Was war – was wird
Der historycast des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands
Staffel 4: Demokratie und Migration: Wege und Stationen in der deutschen Geschichte
Folge 9: Auswandern. Raus aus Deutschland
Heiner Wember im Gespräch mit Simone Blaschka
WEMBER: Heute wollen mehr Menschen rein nach Deutschland als raus. Das sah lange Zeit anders aus. Zwischen 1816 und dem Ende der Weimarer Republik wanderten schätzungsweise etwa 6 Millionen Deutsche nach Übersee aus, vor allem in Richtung USA. Warum wollten die damals alle raus aus Deutschland, Frau Blaschka?
BLASCHKA: Das größte Motiv war die wirtschaftliche Situation. Es gab unterschiedliche Gründe, aber man kann das ein bisschen aufteilen. Menschen vom Lande, das waren vor allen Dingen kleinbäuerliche Familien, die viel zu wenig Land besessen haben, um davon leben zu können. Und auf der anderen Seite haben wir dann in den Städten viele Arbeiter. Die gehen zum Beispiel auch in den wirtschaftlichen Krisen. In den 1870 er Jahren. Und ganz generell muss man sagen, dass es dann schon eine Art Kettenwanderung gab, also die Erfolge von den Menschen, die in den 1830er und 1840er Jahren gegangen waren, die sprachen sich rum, so dass immer mehr Menschen motiviert waren, auch nach Übersee auszuwandern.
WEMBER: Ein Selbstläufer. Warum gab es denn so einen großen Überschuss an Menschen? Nahm die Geburtenrate so stark zu, oder woran lag das?
BLASCHKA: Ja, das Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert war enorm. Die Bevölkerung hat sich praktisch verdoppelt. Das hatte zum Beispiel in den Dörfern ganz konkret zur Folge, dass wir über eine verdeckte Arbeitslosigkeit sprechen in Dörfern, die im heutigen Niedersachsen liegen, zwischen 25 bis 30% in einem Dorf. Man kann sich vorstellen, wie verarmt die Menschen dort waren. Und das hieß natürlich auch, als die Industrialisierung noch nicht so stark war, dass sie viele Menschen aufnehmen konnte, dass gerade in der Zeit dann viele Leineweber da waren, viele Schuster, viele Schuhmacher usw. Das heißt: in den einzelnen Berufszweigen viel zu viele Vertreter dieses Berufes, so dass dann zu wenig Aufträge da waren.
WEMBER: Arbeitslosigkeit halt, die hatten nichts zu tun. Es gab aber auch politische Gründe, vor allen Dingen nach der 48er Revolution.
BLASCHKA: Genau, da bewegen wir uns zwar in einem Promillebereich, was die Zahlen angeht, aber von der Bedeutung ist es natürlich enorm gewesen.
WEMBER: Das waren die 48ers, so nannte man die, glaube ich. In den USA dann häufig bedeutende Menschen wie Carl Schurz zum Beispiel, der spätere Innenminister.
BLASCHKA: Genau, das waren Menschen, die ja schon in Deutschland versucht hatten, was zu bewegen. Auch hier schon in den deutschen Ländern, gerade in Süddeutschland. bekannte Persönlichkeiten waren und zum Teil das dann ja auch in den USA fortsetzen konnten, ihre Tätigkeiten. Aber wir haben zum Beispiel auch weniger bekannte 48ers. Also hier im Deutschen Auswandererhaus haben wir einen jungen Mann, der gehen musste, weil er in der badischen Freiheitsarmee gekämpft hat, und sein Vater hat ihn dann nach ein paar Jahren freikaufen können. Und er kam zurück und ist hier Bürgermeister geworden in Gernsheim, in Süddeutschland, und hat dann die Ideen, die er auch in den USA kennengelernt hat, was Demokratie angeht, demokratisches Zusammenleben, versucht in diese kleine Stadt zu übertragen. Und wenn ihm dann jemand auf einer Sitzung widersprochen hat, dann hat er auf den Tisch gehauen und gesagt, aber in Amerika macht man das so.
WEMBER: Ja, da, wo die Kultur herrscht. Übrigens, das fand ich sehr überraschend bei der Vorbereitung, dass etwa 20% zurückgekommen sind.
BLASCHKA: Genau, die werden immer vergessen, die Rückwanderer, die sogenannten Rückwanderer. Die Zahl war im 19. Jahrhundert noch geringer als im 20. Jahrhundert.
WEMBER: Da war es auch nicht so einfach, wieder zurückzukommen.
BLASCHKA: Genau, das war unter schlechten Umständen ja auch gegebenenfalls tödlich mit den Segelschiffen. Man darf das aber nicht als etwas verstehen: Das sind sozusagen die Versager oder die Versagerinnen. Auf keinen Fall. Oft sind sie auch freiwillig wieder zurückgekehrt und haben Ideen mitgenommen, haben hier Geschäfte gegründet, haben damit auch im Deutschen Kaiserreich viel angestoßen, was ohne diese Rückkehrer gar nicht passiert wäre.
WEMBER: Innovation durch Migration?
BLASCHKA: Ja, genau.
WEMBER: Es gab auch religiöse Gründe?
BLASCHKA: Die große Zahl von Menschen, die für die Religions- oder Glaubensfreiheit gegangen ist, das war natürlich dann eher schon im 18. Jahrhundert oder im 17. Jahrhundert.
WEMBER: Es gab auch den Fall, dass Gefängnisse geleert wurden, dass man gesagt hat, wir schicken unsere Gefangenen mal. Ist billiger, als sie zu Hause jahrelang im Gefängnis zu verköstigen.
BLASCHKA: Genau, das war eine ganz straffe Kosten-Nutzen-Rechnung. Und dann haben viele deutsche Staaten beschlossen, zum Beispiel Hessen, dass sie ihre Sträflinge auf Schiffen nach Amerika stecken. Das hat ein bisschen gedauert, aber die Amerikaner haben das natürlich relativ schnell verstanden, wer da auch auf diesen Schiffen ist.
WEMBER: Die wurden so untergejubelt. Oder wie muss man sich das vorstellen, so heimlich?
BLASCHKA: Ob der jetzt kriminell war oder nicht, der Mann, der mir da gegenübersteht, das wusste man ja nicht so genau.
WEMBER: Wir denken heute, da waren bestimmt auch eine Menge Abenteurer dabei, die die weite Welt erkunden wollten. Gab es davon viele?
BLASCHKA: Nein. Und ich glaube, das ist auch wirklich ein Vorurteil. Das waren keine Abenteurer. Die haben genau wie Menschen heute, sich das sehr, sehr gut überlegt, bevor sie alles aufgegeben haben, alles verkauft haben und dieses wirklich viele Geld, gerade im Segelschiff-Zeitalter, in die Hand genommen haben und alles abgebrochen haben. Gerade in der Zeit, in den 1850er Jahren, war eine Rückkehr praktisch nicht möglich.
WEMBER: Jetzt sind wir schon mittendrin im Thema, und ich habe sie noch gar nicht vorgestellt. Dr. Simone Blaschka leitet das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven, das erste Museum übrigens in Deutschland, das sich dem Thema Migration widmete. Simone Blaschka ist Historikerin und Migrationsforscherin. Frau Blaschka, 1830 fing das hier an mit dem Hafen für Auswanderer. Lassen Sie uns kurz darüber sprechen, wie es vorher aussah mit der Migration in Deutschland. Da gab es vor allem die Wanderung über die trockene Grenze, wie man sagte, Richtung Osten. Schätzungen gehen von 740.000 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum aus. Wohin gingen die Richtung Osten?
BLASCHKA: Die erste große Wanderung führte an die Wolga. Man redet ja auch von den sogenannten Wolgadeutschen. Das waren vor allen Dingen Menschen aus Süddeutschland, die dorthin gegangen sind. Dann später kam zum Beispiel das sogenannte Bessarabien dazu. Das waren Gebiete am Schwarzen Meer, die Russland vom Osmanischen Reich erobert hat und die dort lebenden Kosaken ja tatsächlich auch zum Teil umgesiedelt hat, um dann Europäer und Europäerinnen anzusiedeln. Das waren hauptsächlich Deutsche aus Süddeutschland, aber da waren auch Schweizer dabei und Niederländer.
WEMBER: Und die wurden von Katharina der Zweiten regelrecht angelockt.
BLASCHKA: Genau, das war eine gezielte Anwerbekampagne, die Katharina die Zweite durchgeführt hat. Sie wollte Handwerker, die dann helfen, dort Gemeinden mit aufzubauen und auch wirklich Handel treiben. Die Anwerbekampagnen waren in vielen, vielen süddeutschen Ländern, das war gar nicht zu übersehen. Es wurden Verlautbarungen gemacht. Es sprach sich natürlich auch rum. Darf man nicht vergessen damals: kein Internet, keine Zeitung. Oder es gab Zeitungen, aber die lasen jetzt nicht die bäuerlichen Familien. Es ging viel über Mund-zu-Mund-Propaganda, und es gab richtige Agenten. So hießen die damals, die durch die Dörfer gezogen sind, und die Privilegien, die Katharina denjenigen geben wollte, die nach Russland kommen, richtig vorgelesen haben. Also zum Beispiel ganz konkret: Es wird Materialien geben, mit denen könnt ihr Häuser bauen. Das finanzieren wir euch. Wir finanzieren euch überhaupt sowieso schon mal die ganze Reise dorthin. Es wurden viele Versprechungen gemacht, die auch nicht gehalten worden sind, zum Teil. Es gab viel Frustration bei denjenigen, die das gemacht haben. Und als sie dann dort ankamen, dort an der Wolga, war das natürlich nicht vergleichbar mit dem Land, wie sie es kannten aus Süddeutschland, was ja dann seit Jahrhunderten landwirtschaftlich betrieben worden war.
WEMBER: Wir denken heute, wenn man als Unternehmer was werden wollte, dann musste man nach Amerika gehen. Es gab aber auch damals den Typ, der in den Osten ging. Zum Beispiel Leopold König aus Bayern, der zum Zuckerkönig aufstieg in Sankt Petersburg, der ahnte, da war ein großes Geschäft zu machen. Seine Kinder hatten danach 20.000 Beschäftigte mit Riesen-Ländereien in der Ukraine. Der Vater übrigens von Alexander König, dem Naturforscher und Museumsgründer in Bonn. Das war aber alles weg, als die bolschewistische Revolution kam. Von daher spricht heute wahrscheinlich kaum noch jemand drüber. So viel zur trockenen Grenze. Kommen wir jetzt mal, wenn wir im Bild bleiben wollen, zur feuchten Grenze. Warum zog es die Menschen ab 1830 plötzlich aufs Schiff?
BLASCHKA: Man muss vielleicht noch mal die Verbindung herstellen zwischen dieser Landwanderung und dann der Übersee-Auswanderung. Ich glaube, das ist eine ganz, ganz großartige Entwicklung, die dort stattgefunden hat. Dass diese Menschen, die in Leibeigenschaft, im Feudalismus und in absolutistischen Verhältnissen lebten, sahen: Ich habe eine Chance, ich muss das nicht hinnehmen. Und erst gab es die Chance Richtung Osten und dann, nachdem Amerika unabhängig geworden war und sich als Einwanderungsland ja richtig tituliert hat, gab es die Chance, nach Amerika zu gehen.
WEMBER: Man konnte sein Schicksal in die Hand nehmen plötzlich.
BLASCHKA: Ja, und das ist eine Entwicklung, die, wenn man sich das anschaut, was von dem Mittelalter bis heute passiert ist, wirklich eine Befreiung war und eine Abstimmung mit den Füßen war. Man hat den Landesherren gezeigt: Nein, so wie du mich behandelst, um das jetzt mal ein bisschen flapsig zu sagen, das ist nicht in Ordnung, ich gehe. Und die Landesherren haben ja auch dann schnell reagiert: Auswanderungsverbote herrschten. Man sprach von der Auswanderungs-Sucht. Die Landesherren und Landesherrinnen waren richtig schockiert über das, was da passierte. Dass die Menschen diese Macht auf einmal hatten. Steuerzahler gingen verloren, Soldaten gingen verloren.
Musiktrenner
WEMBER: Gehen wir mal an den Ort, an dem wir gerade sind, nämlich nach Bremerhaven. Eine ganz, ganz junge Stadt, erst 1827 entstanden. Ganz simple Frage: Warum nicht Bremen? Warum Bremerhaven? Warum konnte man sich nicht von Bremen aus einschiffen?
BLASCHKA: Die Bremer hätten das gerne von Bremen gemacht. Leider war es so, dass die Weser derartig stark versandet war, dass die großen Überseeschiffe nicht mehr sicher bis zur Stadt Bremen reinfahren konnten. Und so reifte der Entschluss: Ja, wir brauchen einen zweiten Hafen, der näher an der Nordsee liegt. Ursprünglich geplant als Handelshafen, vor allem für Petroleum und Holz, also gar nicht für das Auswanderergeschäft, war das dann auch sehr, sehr schnell sehr erfolgreich. Was dann die Bremer Kaufleute gemerkt haben: Wieviel Geld da zu machen ist mit diesen Menschen, die den Wunsch haben auszuwandern.
WEMBER: Das fragt man sich ja, wie konnte man viel Geld damit machen? Die kamen an und sind gleich aufs Schiff, und dann waren sie weg. Wo war der Profit?
BLASCHKA: Das Ticket war extrem teuer. Eine Familie damals, eine klassische Handwerkerfamilie, das Jahresgehalt eines Gesellen kostete die Überfahrt für eine Person.
WEMBER: Ich habe es mal ausgerechnet, was Gesellen heute so verdienen im Jahr: etwa 40.000 €. Müsste man so gleichsetzen. Ein Jahreseinkommen: 40.000 €. Eine Magd, glaube ich sogar, hätte zwei Jahre lang ihr komplettes Einkommen dafür ausgeben müssen, so teuer war die Passage.
BLASCHKA: Und das ist ja dann nur eine Person. Das heißt, wir haben hier eine ganze Familie, die auf das Schiff möchte, und das heißt, damit konnte man gut Geld verdienen. Hier jetzt in Bremerhaven gab es die ganzen Hoteliers, die ganzen Betreiber von Gasthäusern. Denn im Segelschiff-Zeitalter kann man zwar dann irgendwann aus Süddeutschland über den Rhein, dann mit Weserkähnen bis hier oben nach Bremerhaven. Das dauerte ja auch alles schon seine Zeit. Auf dem Weg dahin musste man sich verpflegen. Da hat man auch Geld gelassen an diesen ganzen Stationen, die man da durchreist hat. Hier in Bremerhaven hat man dann Geld gelassen in den Gasthäusern. Und wenn man das Pech hatte, dass das Wetter schlecht war und das Schiff erst später abfuhr, verlor man noch mehr Geld. Das zehrte alles an dem Startkapital, was man ja brauchte, um drüben neu anzufangen. Das darf man immer alles nicht vergessen. Wirtschaftlich war das eine sehr fragile Angelegenheit für viele Familien.
WEMBER: Das heißt auch, dass es keine armen Familien waren, die dann auswanderten.
BLASCHKA: Von der Vorstellung muss man sich auch verabschieden. Das ist bis heute so: Arme Familien können nicht über solche Strecken auswandern, die gehen meistens in kürzere Distanzen. Die Auswanderer waren vor allen Dingen, was man heute die untere Mittelschicht nennen würde. Die Mittelschicht, also vor allen Dingen bäuerliche Familien, die noch irgendwas hatten, was sie verkaufen konnten.
WEMBER: Die Bremer Kaufleute hatten dann noch den Vorteil oder die Klugheit, auch Standards zu setzen. Man musste ja auch die Menschen anlocken und sagen: Wenn du nach Bremerhaven fährst, hast du die und die Sicherheiten, zum Beispiel Verpflegung. Die Schiffseigner wurden verpflichtet, genug Verpflegung an Bord zu nehmen.
BLASCHKA: Das war ein Gesetz, was extrem wichtig war für die Passagiere. Denn zum Beispiel auf den irischen Schiffen hatte man lange Zeit das Konzept, dass die Leute ihren Proviant selber mitbringen sollten. Und das waren alles Menschen, die keine Ahnung hatten. Was braucht man sechs Wochen auf See, so dass sie oft zu wenig mitgenommen haben und dann für teures Geld bei den Kapitänen Nahrung gekauft haben. Die Kapitäne haben sich gefreut, aber die Familien haben viel Geld damit verloren, und das war sehr, sehr schnell, dass auf den bremischen Schiffen, auf den Hamburger Schiffen auch, dieses Gesetz bestand, dass die Verpflegung von der Reederei gewährleistet werden muss.
WEMBER: Lassen Sie uns mal über die Überfahrt reden. Das waren gar keine Personenschiffe, sondern Frachtschiffe. Wofür waren die ursprünglich gebaut?
BLASCHKA: Wenn wir jetzt wieder nach Bremerhaven schauen, dann waren das Schiffe, die waren für den Petroleumhandel und für den Handel mit Holz gebaut. Auf dem Weg von Amerika hier nach Europa wurden dann Petroleum eingelagert oder Holz beispielsweise. Diese Petroleumfässer wurden dann oft hier in Bremerhaven gereinigt, und da wurde dann das Trinkwasser reingepackt für die Auswanderer.
WEMBER: Erklären Sie mal, was ein Zwischendeck ist. Den Begriff kennt jeder, aber man weiß gar nicht, was das sein soll. Was heißt Zwischendeck?
BLASCHKA: Wenn man sich diesen Bauch des Schiffes vorstellt: Zwischen dem Deck und dem Rumpf des Schiffes ist ja dieser Hohlraum. Und dieser Hohlraum wird entweder als Frachtraum benutzt oder dann auf dem Weg von Europa nach Übersee, im Auswanderungszeitalter wurden dort Böden eingebaut und vor allen Dingen Betten eingebaut, so dass die Menschen dort also eine Schlafstelle hatten. Es gab aber keine Tische oder irgendwie so was. Es war überhaupt nicht luxuriös. Das waren wirklich Holzverschläge, wenn man das mal übersetzen möchte. Viel zu wenig Platz für jede Person. Kinder wurden oft nicht mitgezählt, das heißt, man hatte so eine Kabine. Kabine ist auch das viel zu vornehme Wort. Ein Verschlag, fünf Erwachsene und die Kinder noch irgendwie kreuz und quer, dazu wildfremde Menschen, oft nebeneinander. Die Hygiene, die Sicherheit der Passagiere spielte wirklich nur eine untergeordnete Rolle in den ersten Jahren. Und es bedurfte dann wirklich der Gesetzgebung. 1832 zum Beispiel in Bremen war ein wichtiges Gesetz, das für Hygiene sorgte, für die richtige Verpflegung und eine Mindesthöhe dieses sogenannten Zwischendecks. Denn man muss sich das vorstellen. Ich weiß jetzt nicht, wie groß Sie sind.
WEMBER: Ich wollte gerade die Frage stellen Ich bin 1,86. Hätte es gereicht?
BLASCHKA: Das hätte nicht gereicht. Dann hätten Sie immer gebückt gehen müssen.
WEMBER: Gab es denn wenigstens Bullaugen, dass man mal rausgucken konnte?
BLASCHKA: Leider natürlich nicht auf diesen Holzschiffen. Einmal am Tag durfte man auf Deck, wenn das Wetter es zuließ, denn man störte ja auch die Mannschaft beim Arbeiten. Natürlich gab es keine Toiletten. Es gab Eimer, die geleert werden mussten, jeden Tag. Krankheiten haben sich rasend schnell übertragen. Gerade so etwas wie die Ruhr. Und wer als erstes starb, das waren die älteren Menschen und die Säuglinge. Die Sterberate war hoch.
WEMBER: Wie hoch war sie denn?
BLASCHKA: Ja, es waren 2 bis 3 %. Das musste nicht sein, aber konnten auf einer Überfahrt sterben.
WEMBER: Je nachdem, wie es lief. Die größte Gefahr war das Wetter?
BLASCHKA: Zum Beispiel, wenn eine Flaute herrschte, dann dauerte die Fahrt länger. Und diese engen, schlechten, unhygienischen Bedingungen, unter denen man lebte, die musste man natürlich dann noch viel, viel länger ertragen. Also, das war ein Grund. Und wenn Sturm war, war natürlich die absolute Katastrophe, dann drohte ja der Untergang des Schiffes.
Musikakzent
WEMBER: Es gab natürlich immer weitere Verbesserungen. Die Branche hat sich darauf eingestellt. Es gab dann Dampfschiffe ab den 1850er Jahren.
BLASCHKA: Die Hapag 1847 und der Norddeutsche Lloyd 1852. Das waren wirklich wichtige Gründungsjahre für diese großen deutschen beiden Reedereien.
WEMBER: Der Norddeutsche Lloyd kam aus Bremen. Und Hapag Lloyd, war Hamburg, die große Konkurrenz?
BLASCHKA: Die große Konkurrenz. Und natürlich darf man nicht vergessen: Das war ein europäisches Geschäft. Wir haben die großen Europäischen Konkurrenten, die Red Star Line. Die kamen aus Antwerpen. Dann haben wir natürlich die White Star Line aus Großbritannien. Und alle kämpften um die europäischen Passagiere. Denn es war jetzt nicht so, dass alle Deutschen von Hamburg und Bremerhaven abfuhren und alle Italiener von Genua und alle Briten von Liverpool. Es war ein Preiskampf. Man muss das ein bisschen vergleichen mit dem Stellenwert, den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die großen Autokonzerne hatten. Wenn diese Reedereien gehustet haben, dann passierte was. Also zum Beispiel hier in Bremerhaven. Die Versandung der Weser spielte immer wieder eine Rolle, die Größe der Hafenbecken. Die Schiffe wurden immer größer, aber die Hafenbecken wuchsen ja nicht automatisch mit. Es kostete viel Geld, diese Infrastruktur den Schiffen anzupassen und den immer steigenden Passagierzahlen. Und es war zum Beispiel so, dass der Norddeutsche Lloyd verlangte, dass das eine Hafenbecken in Bremerhaven vergrößert wurde. Die Schleuse sollte vergrößert werden, und Bremen hat erst mal gesagt: Nein. Daraufhin ist der Norddeutsche Lloyd für sieben Jahre auf die andere Seite der Weser gegangen und hat mal ganz, ganz kurz gezeigt, was das wirtschaftlich heißt, wenn sie nicht mehr da sind.
WEMBER: Was ist denn auf der anderen Seite der Weser? Ich komme nicht von hier. Sagen Sie es mal.
BLASCHKA: Da ist Nordenham. Man spricht von den sieben fetten Jahren für Nordenham.
WEMBER: Die sind bis heute nicht wiedergekommen.
BLASCHKA: Nein.
WEMBER: Es gab dann auch richtige Oceanliner. Und da hat dann Albert Ballin aus Hamburg, von Hapag Lloyd, hat versucht, den Bremerhavener und überhaupt der Konkurrenz den Schneid abzukaufen, indem er ein riesiges Auswandererzentrum gebaut hat für 5000 Menschen mit eigener Synagoge sogar. Wieso Synagoge?
BLASCHKA: Menschen aus dem östlichen Europa, deren Auswanderung, starke Auswanderung, begann in den 1880er Jahren. Und die sind ganz oft über Deutschland ausgewandert. Deutschland wurde zum Transitland für viele, viele Menschen aus dem östlichen Europa, und darunter waren sehr viele jüdische Familien. Viele unter denen, die flohen vor den Pogromen in Russland. Und deswegen gab es in der sogenannten Ballinstadt, also dieser Stadt vor den Toren von Hamburg, sowohl für Juden als auch für Christen jeweils unterschiedliche Angebote, was Religionen angeht. Die Speisen usw., da war man sehr gut darauf eingestellt. Gab es übrigens in Bremen auch. Da gab es die sogenannten Missler-Hallen, die genau den gleichen Zweck hatten.
WEMBER: Die große Konkurrenz zwischen Hamburg und Bremerhaven. Aber Sie hatten mehr Auswanderer, nämlich wie viele?
BLASCHKA: Über Bremerhaven sind 7,2 Millionen Europäerinnen und Europäer ausgereist.
WEMBER: Was ist denn ein Oceanliner? Was ist das Besondere an dem Schiffstyp?
BLASCHKA: Oceanliner nennt man die wirklich großen Passagier-Dampfschiffe, die so ab 1900 anfangen, die transatlantische Passagierschifffahrt wirklich zu bestimmen. Und das sind absolute Luxusliner gewesen. Das war der Moment, wo es anfing zu kippen, dass die Reedereien mehr verdient haben mit Touristen und mit Passagieren der ersten Klasse, als mit den Auswandererinnen und Auswanderern.
WEMBER: Die kamen immer noch nach unten, und oben wurde dann Highlife veranstaltet, wie auf der Titanic.
BLASCHKA: Genau wie man das in dem Film sieht. Wirklich in voller Pracht. Den Passagieren im Zwischendeck, also den Auswandernden, ging es natürlich auf diesen Oceanlinern auch besser als auf diesen Segelschiffen Mitte des 19. Jahrhunderts. Das ist natürlich klar. Es dauerte nicht mehr so lange. Die Verpflegung war deutlich besser. Und vor allen Dingen: Es ist so gewesen, dass die Verpflegung ein Marketingtool war, denn die Leute wollten das schon ein bisschen genießen. Also es fing dann wirklich an, dass auch für die Passagiere im Zwischendeck, das hieß dann auch irgendwann dritte Klasse, gab es Massen an Speisen. Den ganzen Tag über. Und es gab auch für unterschiedliche Geschmäcker wirklich ein großes Angebot. In den 20er Jahren wurden sogar Filme vorgeführt. Das heißt, diese Überfahrt war wirklich ein totales Highlight für die Leute. Und das schrieben die natürlich in Briefen nach Hause. Das war Werbung für die Reedereien. Und so haben sie indirekt auch Marketing betrieben.
WEMBER: Fast wie heute auf den Kreuzfahrtschiffen. Das haben wir vorhin noch vergessen. Wenn Sie jetzt Beraterin gewesen wären in der frühen Zeit, was man so mitnehmen soll was ist das Wichtigste? Man konnte ja nicht viel mitnehmen.
BLASCHKA: Ja, da hätte ich vor allen Dingen gesagt: Nehmen Sie nicht diese ganzen unnützen Dinge mit. Ein Beispiel: Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir viele bäuerliche Familien, die in den Mittleren Westen auswandern wollten. Das war alles genau geplant. Also wir fahren nach Bremerhaven, nach New York, und dann fahren wir – das ging dann ja ab den 1850 er Jahren auch mit dem Zug Richtung Mittlerer Westen. Und dann haben die zum Beispiel die Sichel eingepackt oder die Pflugschar. Und dann kamen sie dort an und haben dann angefangen, das Land zu kultivieren und haben sehr, sehr schnell gemerkt, dass diese Pflugschar diesen Prärieboden gar nicht verkraftet. Die sind gebrochen. Man brauchte da wirklich sehr starke und harte Pflugschare, so, dass das war zum Beispiel was, das wusste man nicht. Woher hätte man es auch wissen sollen? Es gab kein Internet. Also man hatte diese obskuren Auswanderer-Führer, in denen alles Mögliche drinstand, aber auch viel Falsches, weil die Leute, die das geschrieben haben, oft gar nicht dort gewesen waren. Oder die Vorstellung: Ich gehe da rüber und baue wie in Niedersachsen auch dort Gerste an. Wer daran festgehalten hat, der ist schnell pleite gegangen. Wer umgestellt hat auf Weizen und auf Mais, das war genau das, was zum Beispiel in Illinois wuchs und gedieh. Und damit konnte man richtig gut Umsatz machen.
WEMBER: Was hätten Sie denn mitgenommen? Was hätten Sie nicht mitgenommen? Was war wirklich wichtig?
BLASCHKA: Wichtig war wirklich gute Kleidung für diese lange Reise und für die erste Zeit, wenn man angekommen war. Dann ist wichtig, dass man etwas dabeihat, glaube ich, für die Seele. Daran sollte man denken. Also.
WEMBER: Und gegen die Langeweile.
BLASCHKA: Klar, wer ein Musikinstrument hatte, der hat das mitgenommen. Viele haben tatsächlich eine Bibel mitgenommen. Das war wichtig für die damaligen Menschen. Also, was für die Seele sollte auch dabei sein? Gutes Schuhwerk. Also ich glaube, die Kleidung ist extrem wichtig Und Geld. Geld war wichtig. Also man brauchte einfach ein bestimmtes Startkapital. Diese Vorstellung, man geht dahin und dann geht das schon irgendwie, das funktioniert nicht. Man braucht Geld, man braucht gute Kleidung, und man braucht einen guten Plan. Einfach los ist auch schlecht.
WEMBER: Und Beziehungen am besten, wenn man jemanden kennt.
BLASCHKA: Genau. Noch besser ist, wenn man ein Netzwerk hat, was einem weiterhilft, wenn man denn drüben ankommt. Das war auch wichtig.
WEMBER: Wohin fuhren die denn, die Auswanderer?
BLASCHKA: Die Zielländer für die deutschen Auswanderer waren vor allen Dingen die USA. 90 %. Und dann, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, kam Kanada dazu, Argentinien, Brasilien und dann noch ein bisschen später auch Australien.
WEMBER: Die Deutschen waren sogar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die stärkste Einwanderungsgruppe. Vorher waren es, glaube ich, die Iren.
BLASCHKA: Genau, die Iren und die Deutschen waren die stärksten Einwanderungsgruppen. Und dann, Ende des 19. Jahrhunderts, kamen dann viele Gruppen aus dem östlichen Europa dazu, die Italiener , die dann ja eine sehr starke Einwanderungsgruppe bildeten.
WEMBER: Da wurde es dann schwierig für die Amerikaner, weil sie sagten, sie würden katholisch überrannt werden.
BLASCHKA: Das haben sie schon bei den Iren und bei den katholischen Deutschen gesagt. Daraufhin hat sich ja die Nativismus-Bewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, die dezidiert gegen die Einwanderung von Katholiken aus Deutschland und Irland auch gearbeitet haben, diese politische Gegenbewegung in den USA gegen bestimmte Einwanderungsgruppen. Ganz schlimm äußerte sich das nach rassistischen Kriterien gegen die Chinesen und Japanern. Da war ja der Chinese und Japanese Exclusion Act, um diese Gruppe am Einwandern zu hindern.
WEMBER: Der Rassismus hat eine lange Geschichte.
BLASCHKA: Ja.
Musikakzent
WEMBER: Warum waren die Vereinigten Staaten so attraktiv? War das schon Wildwestromantik, oder was waren die Gründe? War es das Gold oder das große Land, was man erwerben konnte?
BLASCHKA: Also, das Gold war es, glaube ich, für die wenigsten. Und das war auch, glaube ich, auch eher etwas, was dann Leute betraf, die schon im Land waren. Die meisten deutschen Auswanderer und Auswanderinnen, so wie viele, viele andere aus Europa aus ganz grundsoliden Gründen. Sie wollten Land, weil, davon gab es zu wenig in Europa für kleinbäuerliche Familien. Sie wollten Jobs, und das alles boten die USA für Europäer und Europäerinnen. Das muss man immer wieder betonen. Das war ja auch eine sehr exklusive Veranstaltung. Wenn man das jetzt mal global betrachtet, wer da überhaupt hinkam und diese Chancen hatte. Im 20. Jahrhundert war es dann natürlich so, dass es vor allen Dingen um Jobs ging. Also die Landwirtschaft spielte dann nicht mehr die Rolle wie im 19. Jahrhundert. Dann haben wir natürlich die Zeit des Nationalsozialismus, in der viele Leute versucht haben, dorthin zu fliehen.
WEMBER: Wenn wir mal die Zeit des Nationalsozialismus ausklammern, könnte man sagen, es waren Wirtschaftsflüchtlinge?
BLASCHKA: Ich vermeide diesen Begriff, weil – gerade aus deutscher Perspektive sollte man aufpassen, wie man Menschen bezeichnet. Wir haben hier in diesem Land lange, lange Zeit die Arbeitsmigranten, die sogenannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen immer reduziert darauf, dass sie nur eine Funktion haben, nämlich die deutsche Wirtschaft nach vorne zu bringen oder eben Jobs zu übernehmen, die Deutsche nicht mehr machen möchten. Und dieses Reduzieren von Menschen sehen wir ja, wohin das geführt hat, nämlich dass die Menschen selber nicht wussten: Bin ich hier willkommen? Wie ist eigentlich mein Status hier in diesem Land? Und dass wir erst in den 2000er Jahren offiziell als Einwanderungsland uns selbst bezeichnet haben, was das für Folgen hat. Die USA hatten da ein bisschen ein anderes Konzept. Sie haben mit der Gründung sozusagen sich selbst als Einwanderungsland definiert, haben natürlich das ganze 19. Jahrhundert auch als Findungsphase – man darf nicht vergessen, da gab es einen Bürgerkrieg usw. – gebraucht, aber letztendlich haben sie die Menschen politisch involviert. Sie haben ihnen Bildungschancen gegeben, sie haben wirklich versucht, eine Identität aufzubauen, die die Menschen an das Land bindet. Man kann das alles kritisch sehen, mit wem das geklappt hat. Aber die Grundidee ist anders als hier lange Zeit in der Bundesrepublik. Insofern vermeide ich das Wort Wirtschaftsflüchtlinge, weil es zu sehr auf einen Faktor reduziert.
WEMBER: Die Vereinigten Staaten als Melting Pot? Das Bild „Wir machen eine neue Kultur aus vielen verschiedenen“?
BLASCHKA: Melting Pot ist etwas, was in der Migrationsforschung ad acta gelegt wurde, der Begriff. Also wenn überhaupt, sagen manche noch Salad Bowl.
WEMBER: Salad Bowl heißt Salatschüssel.
BLASCHKA: Jeder ist eine Zutat eines wahnsinnig leckeren Salates. Also jeder ist anders. Der eine ist die Tomate, der andere ist die Gurke.
WEMBER: Ist das ein Fachbegriff? Sagt man das so.
BLASCHKA: Also populärwissenschaftlich schon. Melting Pot sagt man nicht mehr, weil gar nicht der Anspruch sein kann, dass etwas eingeschmolzen wird, dass etwas abgelegt wird, sondern jeder soll und kann so bleiben, wie er ist, mit allen Fähigkeiten und Talenten, die er mitbringt. Und das ist das Bild von dieser Salad Bowl.
WEMBER: Es schmeckt wunderbar zusammen, aber man kann auch erkennen, was eine Tomate ist und was der grüne Salat ist. Ja, kann man was mit anfangen. Die USA haben dann auch selbst ein rigides System entwickelt für die Menschen, die da ankamen auf Ellis Island. Beschreiben Sie noch mal, was das war.
BLASCHKA: Die restriktive Einwanderungspolitik der USA, dass das konkret in Gesetze umgesetzt wurde, das begann in den 1880 er Jahren, hatte ich vorhin ja schon erwähnt, der Chinese und Japanese Exclusion Act, wo ganze Gruppen ausgeschlossen wurden. Für alle anderen entwickelte man mehr und mehr Instrumente, um bestimmte Menschen am Einwandern zu hindern. Verhindern wollte man die Einwanderung von extrem armen Menschen. Verhindern wollte man die Einwanderung von Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen, kranken Menschen. Lesen und schreiben sollte auch eine Fähigkeit sein, die man mitbringt, wenn man einwandert. Und dementsprechend gestalteten sich die Fragen, die in den verschiedenen Einwanderungsstationen gestellt worden sind. Die größte ist Ellis Island, sehr berühmt, kleine Insel vor Manhattan in New York. Und da kam auch der Großteil der Menschen aus Europa an, und man muss sich das vorstellen: Man war auf dieser wirklich kleinen Insel, und man wurde da durchgeschleust. Man landete dann irgendwann vor dem Immigration Inspector und bekam dann eine bestimmte Anzahl von Fragen gestellt, und die musste man richtig beantworten, sonst.
WEMBER: Ich habe es vorhin probiert. Ich bin gescheitert. Leider. Ich war aber auch ein wenig provokativ bei einer Frage, und die reichte dann schon. Eine falsche Antwort war dann schon entscheidend. Interessant ist, dass die Passagiere der ersten und zweiten Klasse, die wurden einfach durchgewunken, weil man dachte, bei denen passt es schon, die haben genug Geld, und nur die Armen wurden dann diesem Prozedere unterworfen.
BLASCHKA: Ja, hatte natürlich zur Folge, dass zum Beispiel in den 1920er Jahren so Mittelstandsfamilien in Deutschland versuchten, zweiter Klasse zu reisen, weil sie so viel umgehen konnten.
WEMBER: Mit Geld konnte man halt vieles damals auch schon erreichen. Eigentlich wie immer. Wie viel Prozent der Anreisenden wurden dann wieder zurückgeschickt?
BLASCHKA: Das waren ja bis zu 3 % im Laufe der Zeit. Also so ein Durchschnittswert ist das. Man wurde nicht gleich zurückgeschickt, wenn man 1, 2, 3 Fragen falsch beantwortete. Es gab die sogenannte Special Inquiry, eine Spezialbefragung nochmal, man musste dann irgendwelche logischen Aufgaben lösen. Es gab dann diese Tests, wenn man die erfolgreich gemacht hat, dann gab es noch mal eine zweite Chance, dann konnte man durchaus einreisen. Es gab auch die Möglichkeit, wenn man erkrankt war, dann kam man erst mal in Quarantäne, und möglicherweise ist man dann doch noch reingekommen. Aber viele, viele, diese zweite Chance hat ihnen auch nicht geholfen. Und die sind dann von den Reedereien nach Europa zurückgebracht worden.
WEMBER: Die Reeder mussten die dann mit zurücknehmen. Da war die Passage kostenfrei.
BLASCHKA: Ja.
WEMBER: Inklusive Verpflegung. Wenn ich dann ankam, zum Beispiel als deutscher Auswanderer, wo ging ich dann hin? Blieben die meisten in New York oder ging die Fahrt ins Land oder versuchten die Kontakte zu knüpfen? Gab es eine German Town oder nur Chinatown in New York?
BLASCHKA: Das erste German Town gab es in Pennsylvania. Das wurde schon in den 1680er Jahren gegründet, damals von Pistorius. Heute ist das ein Stadtteil von Philadelphia. German Town gab es aber auch in New York eins. Was Anfang des 20. Jahrhunderts aber dann einen Niedergang erlebte. Die meisten Deutschen wussten schon vor der Ankunft, wie es weitergeht nach der Ankunft. Das heißt, die wussten genau: Ich will in den Mittleren Westen, oder ich will meinetwegen nach Texas. Dann ist man vielleicht gegebenenfalls auch schon über New Orleans eingereist. Man wusste sehr genau, wo man hinwollte. Man hatte auch eine Vorstellung davon, wie man da hinkommt. Man muss sagen, dass das Eisenbahnnetz der USA schon in den 1850er, -60er Jahren wirklich weit ausgebaut war, sodass das dann auch relativ einfach war. Natürlich gab es die berühmten Trecks
WEMBER: Die wussten wirklich schon, wo sie hinwollen? In welche Stadt?
BLASCHKA: Die wussten genau die Adresse schon. Nehmen wir jetzt mal ein Beispiel. Ich komme aus dem heutigen Niedersachsen, und ich möchte dann nach Chicago. Dann bin ich nach New York gereist, bin dann von dort mit der sogenannten LakeshoreLine, an der großen Seenplatte, bin ich rübergefahren bis nach Chicago. Und je nachdem, ob ich dann in der Stadt bleiben wollte, habe ich mir da erst mal ein Hostel gesucht, oder, das war bei vielen so: Ich hatte Bekannte oder Freunde oder Familienangehörige, zu denen ich erst mal gegangen bin, die ersten Übernachtungen. Und dann habe ich angefangen, mir mein eigenes Leben aufzubauen. Vielleicht etwas früher, in den 1840er, 1850er Jahren, wollte ich Land erwerben in der Umgebung. Dann bin ich dort natürlich weitergereist, zu Fuß, mit dem Waggon, also mit dem Planwagen, und dann muss man sich das wirklich so ein bisschen vorstellen, wie man das vielleicht aus dem einen oder anderen Western kennt. Man kam da an, in dieser Prärie, in diesem endlosen Grasmeer. Und man hatte natürlich meistens Leute dabei. Man war eine Gruppe. Man konnte also sich gegenseitig helfen. Es wurden dann wirklich so Erdhöhlen gegraben, und dann hat man da erstmal manchmal die ersten ein, zwei Jahre hat man da gelebt, da gab es ein kleines Holzdach drüber, das war das Aller-, Allerwichtigste, man musste erstmal das Land kultivieren, und das heißt dieses Präriegras so bearbeiten, dass daraus ein Acker entstand.
WEMBER: Einen Pflug kaufen, der für den Acker geeignet ist. Das kostete alles Geld.
BLASCHKA: Das kostete alles Geld. Man hatte natürlich auch die Hilfe von meistens Amerikanern, die schon dort gesiedelt haben. Eines darf man nicht vergessen: Das Bewusstsein oder das Unrechtsbewusstsein, dass das Land, auf dem man sich befand, zehn, 15 Jahre zuvor noch Indigenen gehört hat, das war bei den wenigsten ausgeprägt. Also bleiben wir mal bei Chicago. Wenn man westlich von Chicago sich niedergelassen hat, da war der Black-Hawk-Krieg 1832. Erst da hat die US-Armee die Indigenen, die dort lebten, vertrieben. Die sind in Südstaaten vertrieben worden, von den USA, viele gestorben, und es gab wirklich erbitterte Kriege um dieses Land, gerade im Mittleren Westen, weil das stark besiedelt war von vielen, vielen Tribes dort.
WEMBER: Von vielen Stämmen.
BLASCHKA: Ich habe jetzt keine Briefe gefunden, wo darüber mal nachgedacht wurde: Von wem wurde das durch die Armee für mich gestohlen?
WEMBER: Das Land war dann kostenfrei.
BLASCHKA: Das war nicht kostenfrei. Man hat es erstmal kostenfrei bekommen, für eine gewisse Zeit. Und dann musste man es bezahlen. Aber diese Zeit war wirklich ausreichend, um da Gewinne rauszuziehen.
Musikakzent
WEMBER: Sie haben ja in Ihrem Museum so Durchschnittsbiographien, also jetzt nicht die ganz bekannten. Trotzdem konnte ich natürlich nicht widerstehen und habe mir mal drei rausgesucht. Einer, der über Bremerhaven ausgewandert ist 1831, war Johann August Röbling aus Thüringen. Den Namen kennt bei uns fast niemand, aber sein Werk schon. Nämlich
BLASCHKA: Die Brooklyn Bridge in New York. Ja.
WEMBER: Der hatte das aber hier schon gelernt, wie man solche Hängebrücken baut. Hatte da wahrscheinlich mehr Möglichkeiten der Entfaltung gefunden.
BLASCHKA: Das sagen ja viele tatsächlich. Dass das, was sie hier sich erträumt haben, erst drüben Wirklichkeit werden konnte. Also gerade Menschen, die innovative Ideen haben.
WEMBER: Das zweite Beispiel ist: Ich trage gerade eine Jeans hier. Da gibt es eine von der Firma Levi's. Aber ursprünglich ist der Levis Strauß, auf Deutsch, der ist mit seiner Mutter und zwei Schwestern auch über Bremerhaven 1847 ausgewandert.
BLASCHKA: Genau. Das ist jemand, der die Situation analysiert hat. Und dann spielt aber trotzdem der Zufall noch eine Rolle. Er hat eine Hose entwickelt, die halt widerstandsfähig ist. Und die haben dann die Goldgräber für sich entdeckt, weil die natürlich den ganzen Tag da in der Natur und im Wasser hin und her, und die Jeans war dafür hervorragend geeignet, so dass daraus ein Geschäft entstanden ist.
WEMBER: Das dritte Beispiel: ein Mensch, der 1885, also wesentlich später, ausgewandert ist. Friedrich Trump, so hat er wahrscheinlich geheißen.
BLASCHKA: So hat er sich wahrscheinlich genannt. Ja.
WEMBER: Er nannte sich dann aber in Amerika Frederick Trump.
BLASCHKA: Frederick Trump war der.
WEMBER: Großvater von Donald Trump.
BLASCHKA: Genau.
WEMBER: Er war vor dem Kriegsdienst in Bayern auch geflohen.
BLASCHKA: Ja, und er hat auch eine Geschichte, die mit dem Goldrausch zusammenhängt, tatsächlich. Oder mit der Entwicklung des Westens in den USA. Er hat sich auch auf den Weg gemacht Richtung Westen und hat dann dort auch ein Hotel gegründet. Das sollte man alles selber nachlesen.
WEMBER: Er hat dann erst mal so Hackbällchen aus Pferden hergestellt für die Goldgräber. Und diese Hotels, die hatten wahrscheinlich eine rote Beleuchtung, weil es wohl eher Bordells waren als normale Hotels.
BLASCHKA: Genau. Diese Information habe ich auch. Das mit den Hackbällchen von sterbenden Pferden oder toten Pferden.
WEMBER: Spannend ist auch, dass sein Sohn dann in Immobilien investierte und dann viele jüdische Kunden hatte auch nach der Zeit des Nationalsozialismus, sodass die Familie sich dann in der Biografie als sehr flexibel erwiesen hat, nämlich sie haben behauptet, Familie Trump, dass sie aus Schweden stammen würden.
BLASCHKA: Tatsächlich? Das wusste ich noch nicht.
WEMBER: Schwedischstämmig.
BLASCHKA: Ja, das ist praktisch.
WEMBER: Fürs Geschäft war es wahrscheinlich von Vorteil.
BLASCHKA: Ich kann eine andere Geschichte erzählen, von weniger berühmten Menschen. Es ist eine Frau, die mit 17 Jahren ausgewandert ist. Martha Hüner, und ist nach New York zu ihren beiden Tanten, die dort lebten und hat erstmal als Kindermädchen gearbeitet und hat dann einen Bäcker geheiratet, und die beiden haben eine Bäckerei in Queens aufgemacht. Und als dann 1938 die Nationalsozialisten in die Tschechoslowakei einmarschiert sind, haben sie Pleite gemacht, weil dort, in dem Viertel, wo ihre Bäckerei war, lebten viele Tschechen. Und die haben natürlich keine Lust mehr gehabt, in dieser Bäckerei zu kaufen, die einer Deutschen gehörte, sodass diese Einwanderin sozusagen unter den Folgen des beginnenden Zweiten Weltkrieges in Europa wirtschaftlich absolut gelitten hat.
WEMBER: Das ist der Nachteil für Auswanderer. Sie sind die Minderheit in anderen Ländern und immer geeignetes Ziel für alle möglichen Projektionen.
BLASCHKA: Genau. Und man kann natürlich beide Seiten verstehen, die Tschechen und die deutsche Sicht. Weltpolitik äußert sich dann in einer kleinen Bäckerei, das ist dann halt so.
WEMBER: Sie sprachen schon darüber, dass man Migration nicht auf die Wirtschaft und auf die Arbeit allein fokussieren sollte. Es gibt ja kulturellen Austausch. Das Bandoneon, das wir aus Argentinien kennen, kam gar nicht aus Argentinien, sondern stammt aus Deutschland. Warum heißt das Bandoneon?
BLASCHKA: Der Entwickler des Instruments hieß Band.
WEMBER: Ja, naheliegend. Bandoneon. So gibt es dann kulturellen Austausch bei der Migration.
BLASCHKA: Da gibt es ja so viele Beispiele. Und natürlich gibt es diese ganzen berühmten Deutschen. Heinz-Ketchup.
BLASCHKA: Dann gibt es da noch den Busch. Das war der, der die Brauerei gegründet hat. Anheuser Busch Und das ist ja das Budweiser. Dann das Bier, das ja auch sehr berühmt ist.
WEMBER: Wir sprachen schon darüber. Es waren etwa 6 Millionen Deutsche, die ausgewandert sind. Wenn man es als gesamteuropäisches Phänomen nimmt, waren es 44 Millionen.
BLASCHKA: Genau im langen 19. Jahrhundert, also von 1800 bis 1914. Ja.
WEMBER: Die heutige Bundesrepublik wird von Wissenschaftlern inzwischen als Migrationsland bezeichnet. Was ist ein Migrationsland? Beschreiben Sie es noch mal!
BLASCHKA: Ein Migrationsland ist entweder ein Land, was eine starke Einwanderungsgeschichte und aktuelle Einwanderung hat, oder, und das ist besonders bei Deutschland, sowohl eine starke Einwanderungs- als auch eine starke Auswanderungsgeschichte hat. Also wenn man jetzt das mal vergleicht zum Beispiel mit Frankreich, die haben nicht so eine starke Auswanderungsgeschichte wie jetzt Deutschland, aber die haben eine sehr starke Einwanderungsgeschichte. Großbritannien ist ähnlich wie Deutschland, die hatten auch lange Zeit starke Auswanderungsbewegungen. Und dann haben sie starke Einwanderung erlebt. Also, ein Migrationsland ist auf jeden Fall ein Land, in dem immer Wanderungsbewegungen stattfinden, Abgänge und Zugänge, wie man das statistisch nennt.
WEMBER: Und im Moment erleben wir eigentlich beides parallel. Auf der einen Seite gibt es viel Stimmung gegen Einwanderung, und parallel werden sogar ausländische Arbeitskräfte geworben, also fast eine Gleichzeitigkeit von Einwanderung, Auswanderung.
BLASCHKA: Genau, das war in Deutschland oft so, also wenn man jetzt mal in die Geschichte schaut, in die Zeit des Kaiserreiches 1871 bis 1914, haben wir noch eine starke Auswanderungsbewegung in die USA, dann aber auch Brasilien, Argentinien, Australien. Und gleichzeitig kommen viele Polen, also die sogenannten Ruhrpolen, oder Polen, die in von den Deutschen besetzten polnischen Gebieten, sich entscheiden, ins Ruhrgebiet zu gehen. Also wir haben schon eine Einwanderungsbewegung, viele Wanderarbeiter, Arbeitsmigranten zu der Zeit, starke Binnenwanderung, ganz, ganz starke Binnenwanderung vom Land in die Stadt. Das Deutsche Kaiserreich war ein Migrationsland, aber es hat natürlich niemand so bezeichnet. Aber da war eine unglaubliche Bevölkerungsbewegung.
WEMBER: Migration ist nichts Neues, sondern gehört zum Menschen dazu.
BLASCHKA: Ja, man spricht ja auch von Homo migrans, dem wandernden Menschen.
WEMBER: Frau Blaschka, vielen Dank.
BLASCHKA: Gerne. Sehr gerne. Vielen Dank auch Ihnen.
Was war – was wird
Der historycast des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands
Staffel 4: Demokratie und Migration: Wege und Stationen in der deutschen Geschichte
Folge 9: Auswandern. Raus aus Deutschland
Heiner Wember im Gespräch mit Simone Blaschka
Eine Kooperation mit der Stiftung Orte der Deutschen Demokratiegeschichte.
WEMBER: Wenn Sie sich mit dem Thema der gerade gehörten historycast-Folge noch weiter auseinandersetzen wollen: Hören Sie doch mal beim WDR-Zeitzeichen rein. Dort finden Sie eine Reihe von spannenden Sendungen zu ähnlichen Themen. Die Links dazu haben wir in den Begleittext zu dieser Folge gestellt.
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