Wer darf rein? Asyl und Grundgesetz

Shownotes

Ein Asylrecht entstand in Westdeutschland bereits vor dem Grundgesetz. Es war in der amerikanischen und britischen Zone geschaffen worden, um den massenhaft Zustrom von Flüchtlingen aus Ostdeutschland zu begenzen. Mit solchen Erkenntnissen überrascht der Historiker Michael Mayer im historycast. Er hat sich für seine Habilitationsschrift zehn Jahre lang mit dem Thema Asyl und Grundgesetz beschäftigt. Und betont, dass mit dem Asylrecht der Staat Rechtsmittel in die Hand bekommt: "Mit der Formulierung `Politisch Verfolgte genießen Asylrecht´ habe ich ein Mittel, um zu entscheiden: Wer darf bleiben und wer darf nicht bleiben". Mayer relativiert die Bedeutung des Asylrechts für die Migration nach Deutschland, da ein Großteil der Migranten in Deutschland nur geduldet seien und damit jederzeit abgeschoben werden könnten oder rechtlich unter die Genfer Flüchtlingskonvention fielen. Mayer sieht nationale Alleingänge in der Asylpolitik kritisch und betont, dass es nur europäische Lösungen geben könne. Die EU habe ihre Außengrenzen bereits massiv verschärft, und mit dem europäischen Asylsystem würden Schnellverfahren für Menschen aus sogenannten sicheren Drittstaaten eingeführt. "Die EU ist auf dem richtigen Weg und hat die richtigen Lösungen."

Dr. Michael Mayer habilitiert sich gerade mit einer Arbeit über die Geschichte des Asylrechts im Grundgesetz. Außerdem ist er Leiter des Arbeitsbereichs Zeitgeschichte an der Akademie für Politische Bildung Tutzing.

Dr. Heiner Wember ist Radiojournalist und Historiker aus Münster.

Staffel 4, Folge 14 des historycast - was war, was wird? des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands e. V. [http://geschichtslehrerverband.de]

Gefördert wird das Projekt durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte.


Geschichte des Asylrechts und der Migration in Deutschland Das deutsche Asylrecht, insbesondere der Grundgesetzartikel „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, entstand unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der Flüchtlingsströme aus der sowjetischen Besatzungszone. Ursprünglich war das Ziel nicht, Massenmigration zu ermöglichen, sondern einen Kontrollmechanismus einzuführen, um gezielt über den Aufenthalt politisch Verfolgter zu entscheiden. Die Rechtsgrundlage geht dabei auf jahrhundertealte Traditionen zurück, in denen Herrscher über die Gewährung von Asyl bestimmten. Erst mit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 erhielt das Konzept des internationalen Schutzes neue Standards, wenngleich das individuelle Recht auf Asyl auch später nicht voll verankert wurde – die Staaten verblieben in ihrer Souveränität, Asyl zu gewähren oder zu verweigern.

Migration und Integration in der Bundesrepublik In der frühen Bundesrepublik Deutschland waren Flucht und Migration vor allem durch Vertreibung und die Integration von Vertriebenen gekennzeichnet. Mit dem Wirtschaftswunder und ab den 1950er Jahren spielten „Gastarbeiter“ eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung. Diese Arbeitsmigration wurde gesellschaftlich und politisch vor allem als zeitlich befristetes Phänomen betrachtet. Die Integration wurde lange vernachlässigt, wie etwa spezielle „türkische Nationalklassen“ in Schulen zeigen; erst seit 2015 mit gezielten Integrationsmaßnahmen wurde aus den Fehlern vergangener Jahrzehnte gelernt.

Asylpolitik als Mittel der Migrationskontrolle Das Asylsystem in Deutschland diente überwiegend der Kontrolle und Begrenzung von Zuwanderung. Dies zeigte sich besonders während der Ölkrise 1973, als der Zustrom von Arbeitskräften endete und das Asylrecht zum Hauptzugang für Migrantinnen und Migranten wurde. Politische Debatten um Begriffe wie „Asylantenflut“ und gesellschaftliche Kontroversen über die sogenannte „Überfremdung“ prägten die öffentlichen Diskussionen – insbesondere während der Balkankriege und nach dem Kollaps des Ostblocks.

Europäische und internationale Perspektiven Wichtige Stichworte sind hier die „Dublin-Verordnung“, das „europäische Asylsystem“ und der „sichere Drittstaaten“-Ansatz. Seit den 1990er Jahren lag die Herausforderung darin, europaweite Regelungen zu etablieren. Deutschland und andere wirtschaftlich starke EU-Länder sahen sich häufig mit höheren Flüchtlingszahlen konfrontiert. Es wurden Mechanismen eingeführt, Asylverfahren an die EU-Außengrenzen zu verlegen und einzelne Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland stärker in die Verantwortung zu nehmen, was jedoch in der praktischen Zusammenarbeit auf Schwierigkeiten stößt.

Sprache, Integration und aktuelle Entwicklungen Statistische Erhebungen zeigen, dass Integrationspolitik seit 2015 erfolgreicher wurde. Viele Geflüchtete finden rasch Zugang zu Ausbildung und Arbeit. Die politischen Debatten über das Asylrecht bleiben jedoch hoch emotionalisiert, während die tatsächlichen Antragszahlen in den letzten Jahren gesunken sind. Der Umgang mit Zuwanderung bleibt ein zentrales gesellschaftliches Thema, das historische Erfahrungen, wirtschaftliche Erwägungen und rechtliche Fragen miteinander verbindet.

Zentrale Suchbegriffe • Asylrecht Geschichte Deutschland • Migration Bundesrepublik Entwicklung • Integration Gastarbeiterpolitik • Dublin-Verfahren Asyl EU • Genfer Flüchtlingskonvention • Zuwanderungskontrolle Bundesrepublik • Arbeitsmigration Geschichte Deutschland • Flüchtlingspolitik Zeitgeschichte • Asylkompromiss 1993 • Geschichte Flüchtlinge und Vertriebene

Diese Zusammenfassung und das didaktische Material erleichtern den Zugang zu historischen Entwicklungen von Migration, Asylrecht und Integration – zentrale Themen im Geschichtsunterricht und für die politische Bildung.

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MAYER: Mit der Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, hat man genau das bezweckt, was man haben wollte, Ich habe damit ein Mittel, um zu entscheiden Wer darf bleiben und wer darf nicht bleiben? Ich habe ein Mittel zu sagen: 80 bis 90 % der deutschen Flüchtlinge aus der Sowjetzone dürfen nicht bleiben. Und das gleiche auch bei den ausländischen Flüchtlingen.

Was war – was wird

Der historycast des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands

Staffel 4: Demokratie und Migration: Wege und Stationen in der deutschen Geschichte

Folge 14:

Wer darf rein? Asyl und Grundgesetz

Heiner Wember im Gespräch mit Michael Mayer

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WEMBER: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Diese Worte im Grundgesetz wirken heute wie politisches Dynamit. Der Artikel 16 a des Grundgesetzes, so Kritiker, habe zu unkontrollierter Masseneinwanderung nach Deutschland geführt. Der Historiker Heinrich August Winkler spricht von einer deutschen Asyllegende und fordert die Abschaffung des individuellen Asylrechts. Das sei auch nie im Sinne der Väter und Mütter des Grundgesetzes gewesen. Herr Mayer, ist der Artikel im Grundgesetz tatsächlich ein Turbo für die Migration nach Deutschland gewesen?

MAYER: Dieser Artikel 16 ist letztendlich ein Mittel gewesen, um Migration zu kontrollieren und Migration zu begrenzen. Das wird heute gerne vergessen, weil man eigentlich die Grundlagen dieses Artikels nicht mehr kennt.

WEMBER: Dr. Michael Mayer kennt sich zum deutschen Asylrecht aus wie wohl niemand sonst. Denn er habilitiert sich gerade mit einer Arbeit über die Geschichte des Asylrechts im Grundgesetz. Außerdem ist er Leiter des Arbeitsbereichs Zeitgeschichte an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Herr Mayer,

WEMBER: Was heißt Asyl überhaupt? Wo kommt das Wort her?

MAYER: Asyl kommt aus dem Griechischen und meint Zufluchtsort. Da haben Sie eben auch diesen räumlichen Gedanken. Also eben ein Ort, wo ich geschützt bin. Zum Beispiel ein Tempelbezirk, in den ich fliehen kann. Der Schutzort und aber eben auch den rechtlichen Schutz, dass ich dort nicht ausgeliefert werden kann.

WEMBER: Weil dort die Götter zuständig sind. Da endet die Herrschaft der Menschen.

MAYER: Genau, genau. Aber es gibt natürlich auch damals schon die Möglichkeit, ausgeliefert zu werden. Und aus diesem Asyl entsteht dann auch vor allem in der Neuzeit auch zum Beispiel ein diplomatisches Asyl. Das heißt, Personen, die in eine Botschaft eines anderen Staates fliehen, haben dort einen gewissen Schutz.

WEMBER: Es gibt Kirchenasyl.

MAYER: Genau. Es gibt das Kirchenasyl schon auch im Mittelalter. Aber auch das ist eben kein absolutes Recht, kein einklagbares Recht. Und das ist immer wichtig. Auch das Asylrecht im Völkerrecht ist im Grunde nicht ein Recht der Menschen auf Asyl. Das heißt, der Staat kann entscheiden, ob er sagt: Na gut, ich gebe dir jetzt Asyl oder ich nehme es dir wieder weg. Der Staat hat die Souveränität, und das ist im Grunde der Stand des Völkerrechts. Mindestens bis 1951, als die Genfer Flüchtlingskonvention entstanden ist.

WEMBER: Entscheidend war dann noch die Obrigkeit und nicht derjenige, der Asyl suchte. Bei der Vorbereitung war ich ganz erstaunt, dass es schon im 14. Jahrhundert vor Christus eine Vereinbarung gab zum Asyl, nämlich zwischen dem König der Hethiter und dem Fürsten von Wiluscha: Ja, ich kann sogar mal zitieren „Wenn ein Flüchtling aus deinem Land Hatti kommt, so gibt man ihn dir nicht zurück; aus dem Land Hatti einen Flüchtling zurückzugeben ist nicht rechtens.“ So alt ist es schon.

MAYER: Genau. Ein ganz, ganz altes Recht. Aber wie gesagt, was mir immer wichtig ist zu sagen: Wer entscheidet? Und ist es ein Recht des Individuums, das ich sozusagen einklagen kann? Oder ist es ein Recht, das mir eine Obrigkeit gewährt, wo im Grunde immer dieser Aspekt da ist: Ich kann es dir geben, ich muss es aber nicht.

WEMBER: In der frühen Neuzeit gab es das Jus emigrandi. Das Recht auszuwandern. Vor allen Dingen bei religiösen Fragen. Warum war Religion da so wichtig?

MAYER: Das Recht auszuwandern ist ja letztendlich ein Recht des Untertanen, aus der Untertanenschaft entlassen zu werden. Das Recht auszuwandern ist sehr wichtig, gerade auch im 19. Jahrhundert, als die Auswanderung immer stärker wird. Auch Auswanderung in die USA.

WEMBER: Hatten wir im historycast: 6,5 Millionen Deutsche, die ausgewandert sind.

MAYER: Genau. Und das ist eben auch ein Recht, aber auch natürlich eine Möglichkeit, um Druck abzulassen. Ich habe soziale Probleme und lasse eben Menschen auswandern und habe dann die Möglichkeit, sage ich mal, Bevölkerungsprobleme in den Griff zu bekommen.

Der Gedanke dahinter: Ich lasse religiöse Gruppierungen, lasse bestimmte Gruppierungen raus, also Hugenotten oder andere, um dann letztendlich ja mehr Frieden im eigenen Land zu haben.

WEMBER: Das heißt aber noch nicht, dass man irgendwo anders aufgenommen wurde.

MAYER: Genau. Das heißt, ich kann das Land verlassen, aber die Frage ist, ob ich denn aufgenommen werde. Asyl hieß in den USA: Ich darf einwandern, wenn ich protestantisch bin und wenn ich weiß bin, das ist so der Klassiker.

Skandinavier, protestantische Deutsche, Briten. Aber wenn ich katholisch bin, katholischer Ire, Italiener, Spanier usw., dann habe ich eben große Probleme einzuwandern. Ganz besondere Probleme, wenn ich eben aus Osteuropa komme und jüdisch bin. Da ist die Einwanderungspolitik in den USA ganz spannend. Nicht an der Grenze der USA wird diskriminiert, sondern an den Häfen in Europa. Es ist wie heute: Wenn ich irgendwohin fliege und nicht angenommen werde in dem Land, dann muss die Fluggesellschaft mich zurückbringen. Das ist auch schon im 19. Jahrhundert bei den Schiffahrtsgesellschaften so, das heißt: In Bremerhaven und anderswo haben die genau geguckt, wen lasse ich auf dieses Schiff? Und das sind eben vor allem diese Gruppierungen.

WEMBER: Erstaunlich fand ich bei der Vorbereitung, dass Städte wie Amsterdam, Berlin, New York ganz stark von Immigration geprägt waren. In Amsterdam lebten in der frühen Neuzeit bis zu einem Drittel Deutsche, die geflohen waren aus religiösen Gründen, die ihr Glück machen wollten, auch wirtschaftlich. Und dass ausgerechnet diese Regionen besonders stark wirtschaftlich sich entwickelt haben. Gibt es einen Zusammenhang?

MAYER: Ja, es gibt immer wieder Studien, auch jetzt gerade in den USA wieder neue Studien: Was hat Migration in den letzten 20, 30 Jahren gebracht? Und es ist natürlich so, dass Menschen, die neu in ein Land kommen, die arbeiten sehr hart, die zahlen Steuern, die versuchen sich hochzuarbeiten und sind natürlich viel aktiver und viel mobiler als eben Personen, die schon lange dort leben. Wir haben das in der Bundesrepublik auch nach 45: Flüchtlinge und Vertriebene, die eben sehr intensiv gearbeitet haben, um sich eben eine neue Lebensgrundlage aufzubauen und die eben auch das Wirtschaftswunder massiv vorangebracht haben, Das sind eben mobile Kräfte in der Bevölkerung, die auch Lücken füllen, die auch Jobs annehmen, die man nicht so haben möchte und die damit die anderen letztendlich nach oben heben. Das ist die sogenannte Unterschichtung. Also bei Opel am Band, diejenigen, die ganz unten gearbeitet haben, waren eben sogenannte Gastarbeiter. Sie haben ja auch eine Sendung dazu gemacht, die sogenannten Gastarbeiter, die dann dafür gesorgt haben, dass der Vorarbeiter eben der Deutsche war. Also man hat dann plötzlich mehr Geld verdient, weil es Migrantinnen und Migranten gab.

WEMBER: Es gibt aber auch Einwanderung in die Sozialsysteme. Das ist ja immer in der politischen Diskussion ein ganz großes Thema.

MAYER: Ja, natürlich gibt es auch Menschen, die auch von den Sozialsystemen profitieren, also gar keine Frage. In Einzelfällen. Im Großen und Ganzen ist es halt so, dass natürlich das Sozialsystem davon profitiert, dass mehr Leute letztendlich einzahlen. Deswegen ist eigentlich unterm Strich ist es deutlich sinnvoller, sowas zu haben.

WEMBER: Nach dem Ersten Weltkrieg gab es ein neues Phänomen, nämlich dass wirklich Massen von Menschen heimatlos wurden: eine Million Russen nach der bolschewistischen Revolution. Denen auch die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. Die waren staatenlos. Eine Million.

MAYER: Genau das ist das Problem nach dem Ersten Weltkrieg, dass es eine große Gruppe von staatenlosen Menschen gibt. Der Völkerbund, der überlegt sich dann: Wie können wir dieses Problem lösen? Und das macht man dann eben über Asyl, dass man sagt, dass ganze Gruppen pauschal anerkannt werden. Es gibt noch nicht diese Individualprüfung, dass ich persönlich meine politische Verfolgung nachweisen muss, sondern die gesamte Gruppe, zum Beispiel armenische Flüchtlinge, russische Flüchtlinge, die werden grundsätzlich anerkannt oder dürfen bleiben, aber natürlich mit einem ganz prekären Schutzstatus, egal, ob in Deutschland, Frankreich oder woanders. Und nach dem Zweiten Weltkrieg ist das anders. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Sie die Prüfung.

WEMBER: Jetzt sind wir nach dem Zweiten Weltkrieg, und parallel zum Parlamentarischen Rat passierte bei den Vereinten Nationen etwas, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Und darin wurde auch ein Asylrecht verankert. Ich zitiere mal: „Das Recht, in anderen Ländern Zuflucht vor Verfolgung zu suchen und zu genießen.“ Genießen ist auch ein seltsames Wort in dem Zusammenhang.

MAYER: Ja, das Spannende ist da: Wenn man sich die Debatte anguckt für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte des Artikel 14, ursprünglich stand in dem Artikel: Es gibt ein Recht auf Asyl für Menschen, die verfolgt sind, und die haben eben das Recht, Asyl zu beantragen und auch zu bekommen. Und dann haben die Staaten gesagt: Um Gottes willen, die haben ja dann ein Recht, das wollen wir ja nicht, wir wollen ja entscheiden, wer Asyl bekommt. Und dann gab es dann viele Gespräche, viele Debatten. Am Ende kommt dann eben raus diese Fassung, die Sie gerade zitiert haben Ich habe das Recht, Asyl zu beantragen. Also ich kann woanders hingehen, sagen, ich bin verfolgt, bitte gebt mir Asyl. Also einen Antrag kann ich stellen und ich habe das Recht, Asyl zu genießen. Das heißt, ich habe nicht das Recht, Asyl zu bekommen. Deswegen, dieser Artikel.14 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist kein echtes Asylrecht, kein Individualrecht, sondern es ist ein Recht der Staaten, Asyl gewähren zu können, aber nicht ein Recht der Menschen, Asyl zu bekommen.

WEMBER: Jetzt wird es spannend, nämlich im Grundgesetz stehen die vier entscheidenden Worte. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Wie kam es dazu? Es gibt ja verschiedene Thesen. Der Migrationsforscher Klaus Bade hat den Artikel 16 sogar als die historische Antwort der Deutschen auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus bezeichnet. Hier im historycast hatten wir Ulrich Herbert, der dann sagt: „Das deutsche Asylrecht ist eigentlich für Deutsche entstanden“. Wer hat denn nun recht?

MAYER:: Ulrich Herbert natürlich hat Recht. Dass der Parlamentarische Rat immer nur über ein Asyl für Deutsche spricht oder vor allem über ein Asyl für Deutsche spricht. Und das war für mich der Ausgangspunkt, in die Archive zu gehen und zehn Jahre zu recherchieren und zu suchen, um zu verstehen, was ist da eigentlich die Story dahinter? Warum reden die da über Deutsche? Um wen geht es eigentlich? Es geht um Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone. Die fliehen zum Beispiel in die US-Zone. Die Amerikaner sagen: Wir wollen keine Flüchtlinge, wir wollen auch keine politischen Flüchtlinge. Und die Amerikaner weisen alle ab, und zwar wirklich alle, ganz gnadenlos, egal ob verfolgt oder nicht. Und da sagt dann die Verwaltung vor Ort in Bayern zum Beispiel oder in Hessen: Na ja, wir sind ja völlig einverstanden, dass Ihr die Leute wieder abschiebt. Wollen wir auch so? Aber wenigstens die wenigen politisch Verfolgten, die könnt ihr doch bitte aufnehmen. Und so schafft man das, sag ich mal, in der US-Zone nach und nach Asylverfahren einzuführen,. Es geht dann vielleicht um 5 bis 10 % der Flüchtlinge, die anzuerkennen, dass sie bleiben dürfen und von den Amerikanern nicht abgeschoben werden.

WEMBER: Von Helge Heidemeyer, dem Historiker, weiß ich, war ja auch hier zu Gast, dass die Amerikaner zwar versucht haben, die abzuschieben, dass aber doch viele beim nächsten Bahnhof wieder ausgestiegen sind und einfach geblieben sind.

MAYER: Genau das ist der Klassiker in der Migration. Also heute würde ja jemand von der AfD sagen: Na ja, stellen wir Panzer an die Grenze, dann haben wir das Migrationsproblem gelöst. Dann gibt es keine Leute, die mehr kommen. Das haben die Amerikaner gemacht, die hatten Panzer an der Grenze stehen und massenhaft Militär. Und trotzdem sind viele, viele Leute gekommen. In Bayern zum Beispiel pro Monat zwischen fünf und 10.000 Menschen aus der sowjetischen Zone. Die Amerikaner internieren die und schieben die sofort wieder zurück. Aber die Leute kommen einfach wieder. Die Amerikaner sind auch meistens so, dass sie die an der grünen Grenze einfach wieder rüber in die Sowjetzone schieben. Mit Waffengewalt, sag ich mal, stehen hinter den Sack: Verschwindet wieder. Also gibt es auch ganz schlimme Fälle von Frauen, die vergewaltigt werden von US-Soldaten, die halt über die Grenze gekommen sind. Die werden vergewaltigt und dann gleich wieder zurückgeschoben. Also auch da ganz, ganz schreckliche Geschichten, die da entstanden sind. Aber da sieht man: Die Amerikaner haben es nicht hingekriegt, letztendlich das Problem zu lösen mit sage ich mal mit Grenzschutz, mit Panzern usw.

WEMBER: Die Engländer haben es ganz anders gemacht, die Briten. Die haben gesag: alle rein. Da kamen zwei Millionen 1947.

MAYER: Genau, die Briten hatten eine andere Politik. Die Amerikaner sind eine große Weltmacht und sind von den Sowjets anerkannt. Deswegen sind die Sowjets eher gewillt, von den Amerikanern Flüchtlinge wieder zurückzunehmen. Großbritannien nach 45, ist eine Macht im Sinken, wird nicht wirklich auf Augenhöhe betrachtet. Ist ja heute auch so, also Putin ist so sowjetisch geprägt. Putin will nur mit den Amerikanern und Chinesen, das sind Weltmächte, mit denen redet er. Das heißt, die Briten hatten nicht die Möglichkeit, die Sowjetunion dazu zu bringen, Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Was machen die Briten? Die Briten sagen: Na gut, wir lassen es im Grunde laufen. Die Deutschen müssen alle Flüchtlinge, alle deutschen Flüchtlinge aus der Sowjetzone aufnehmen. Ja, jetzt haben die ein Problem, vor allem in Niedersachsen, das die meisten Flüchtlinge bekommt. Was überlegen sie? Sie sagen sich: Wir wollen nicht so viele Flüchtlinge, wir können gar nicht so viele aufnehmen. Unser Land ist schon mit Flüchtlingen und Vertriebenen überfüllt. Und dann kommen die auf die Idee zu sagen Wir führen jetzt Asylverfahren ein. Damit wir dann ein Mittel haben, um, sage ich mal, 90 % der Menschen wieder abweisen zu können. Vorher musste ich alle aufnehmen. Jetzt mache ich ein Asylverfahren und sage: Okay, du und du, ihr seid politisch verfolgt. 10 % etwa. Euch nehme ich auf, und den anderen sage ich: Ihr müsst wieder zurück.

WEMBER: Dadurch sind die aber noch nicht weg, die 90 %. Die müssen sich aber selbst versorgen dann…

MAYER: Genau. Natürlich gehen die Leute nicht einfach wieder zurück, weil es gibt ja Gründe, warum sie geflohen sind. Was macht Niedersachsen und andere Staaten übrigens auch? Also Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen? Die sagen, ihr bekommt keine Lebensmittelkarten und bekommt keine Unterkunft? Das heißt, die Leute sitzen buchstäblich auf der Straße und haben nichts zu essen. Und man hofft, indem man diese Zustände so massiv macht, dass die Leute letztendlich wieder zurückgehen. Aber das tun sie nicht. Die Leute versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen, gehen von Ort zu Ort, betteln usw. und eigentlich schafft man sich damit ein Kriminalitätsproblem. In den gesamten Ländern der Bundesrepublik haben Sie seit 47, Anfang 48 diese systematischen Asylverfahren als Mittel der Zuwanderungskontrolle.

WEMBER: Da gab es den Parlamentarischen Rat noch gar nicht.

MAYER: Deswegen sage ich das so genau, weil, das ist die Grundlage für den Parlamentarischen Rat. Also Sie haben überall, in allen Ländern haben Sie diese Asylverfahren und ab Sommer 47 schon eine Vereinheitlichung der Asylverfahren dieser Länder. Das heißt, wir haben ein System von Asylverfahren für Flüchtlinge aus der sowjetischen Zone. Und dann, im September 48, tritt der Parlamentarische Rat zusammen und baut auf dem auf.

WEMBER: Da waren aber schon einige dabei, die im Exil gewesen waren und die aus der Geschichte etwas lernen wollten.

MAYER: Ich würde nicht sagen, dass das überhaupt keine Rolle spielt, aber die Rolle ist doch relativ gering. Wenn Sie sich die Debatten angucken, dann geht es immer darum: Wie gehen wir mit den Alliierten um, wie gehen wir mit dem Flüchtlingsproblem aus der Sowjetzone um? Das sind etwa, sage ich mal, 15, 20.000 im Monat. Ausländische Flüchtlinge, das sind ein paar 100 im Monat.

WEMBER: Da wollte niemand nach Deutschland. Freiwillig.

MAYER: Genau. Die Leute sind nach Deutschland gekommen als Zwischenstation, um dann weiter zu wandern. Und Sie haben seit 1947 die International Refugee Organization. Das ist eine internationale Organisation, nicht von den Vereinten Nationen, aber vor allem von Großbritannien, den USA getragen, um Leute umzusiedeln. Das heißt, auf deutscher Seite war das Gefühl: Naja, die werden ja eh umgesiedelt von einer internationalen Organisation. Wir sind nur so eine Zwischenstation, Das heißt, das ist gar nicht wirklich ein großes Problem. Das Problem sind die Sowjetflüchtlinge.

WEMBER: Wie kam es denn zu diesen vier Worten? Ursprünglich war die Formulierung ja länger. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts. Das ist ja schon ein feiner Unterschied.

MAYER: Genau das ist ein Unterschied. Das war die erste Formulierung, weil man gesagt hat, wir wollen nicht mehr geben, als das Völkerrecht vorsieht. Und ich hatte ja schon erklärt, das Völkerrecht ist sehr restriktiv und sagt, der Staat hat die Souveränität und deswegen diese Einschränkung im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts.

WEMBER: Da wird die AfD heute sagen: wunderbar, war doch eine tolle Formulierung.

MAYER: Ja, aber diese Formulierung passt halt nicht für deutsche Flüchtlinge, weil, wenn es um deutsche Flüchtlinge geht, und das ist eben die Hauptgruppe, um die man sich Gedanken macht. Da hat ja das Völkerrecht keine Bewandtnis, weil der Staat, die spätere Bundesrepublik, will ja entscheiden: Wie gehen wir mit unseren Staatsangehörigen um? Auch Flüchtlinge aus der Sowjetzone sind ja deutsche Staatsangehörige. Deutsche Staatsangehörigkeit wird ja anerkannt, und deshalb kann es nicht nach dem Völkerrecht gehen, weil dann würde ja das Völkerrecht über deutsche Staatsangehörige entscheiden, Deswegen streicht man das. Und diese allgemeine Formulierung hat einen ganz tollen Vorteil. Sie hat nämlich eine unterschiedliche Wirkung für deutsche Staatsangehörige und für Ausländer.

WEMBER: Warum?

MAYER: Warum? Es ist so: Wenn ich ein deutscher Staatsangehöriger bin, in die spätere Bundesrepublik fliehe, dann habe ich erstmal ganz viele Rechte nicht. Zum Beispiel, nehmen wir mal, in der bayerischen Verfassung steht: Ich habe nur dann ein Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn ich Staatsangehöriger in Bayern bin, wenn ich legal in Bayern lebe. Und vor allem, und das ist das Allerwichtigste Sie sind jetzt Kriegsinvalide. Sie bekommen nichts, wenn Sie nicht legal in einem der westdeutschen Länder leben. Sie bekommen keine Rente, weil sie nicht legal dort leben. Sie bekommen keine andere soziale Unterstützung. Und darum geht es. Sie haben ganz viele Rechte, haben Sie nicht, wenn sie illegal im Westen sind. Und deswegen muss es ein Asylverfahren geben. Und nur wenn Sie anerkannt sind, dann bekommen sie auch diese Rechte. Das heißt, in dem Moment, wenn ich anerkannt werde über mein Asylverfahren, habe ich alle Rechte, die ein deutscher Staatsangehöriger in den Westländern hat, der hier legal lebt. Also einen supertollen Status, sage ich mal. Bin ich jetzt ein Ausländer und erhalte Asyl, dann habe ich nur den Status eines legal in Westdeutschland lebenden Ausländern, mehr nicht. Und das heißt: Mit der Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, hat man genau das bezweckt, was man haben wollte, nämlich einen sehr privilegierten Status für die kleine Gruppe von deutschen Verfolgten. Das wollte man auch, und einen sehr mageren Status für die anerkannten ausländischen Flüchtlinge. Und das Zweite, was in diesem politisch Verfolgte genießen Asylrecht drinsteckt, ist eben diese Zuwanderungskontrolle. Ich habe damit ein Mittel, um zu entscheiden Wer darf bleiben und wer darf nicht bleiben? Ich habe ein Mittel zu sagen: 80 bis 90 % der deutschen Flüchtlinge aus der Sowjetzone dürfen nicht bleiben. Und das gleiche auch bei den ausländischen Flüchtlingen.

WEMBER: Und kann ihnen damit den privilegierten Rechtsstatus aberkennen. Dass ich sage: Ihr habt kein Recht auf Rente. Usw.

MAYER: Das Zentrale bei diesem Asylrecht im Grundgesetz: Es hat eben zwei Elemente. Es gibt diesen humanitären Aspekt, nämlich: Ich schütze die kleine Gruppe der wirklich politisch Verfolgten und ich schätze sie vor allem vor den Besatzungsmächten. Das darf man nicht vergessen. Das ist der Gedanke dahinter. Die Amerikaner wollen die Leute nicht schützen, die Amerikaner wollen sie zurückführen. Bei den Briten weiß man nie so genau. Und das ist eben auch 48 noch so, das heißt, ich brauche diese Schutzmöglichkeit, diese absolute Schutzmöglichkeit vor allem für die deutschen Flüchtlinge. Das ist dieser humanitäre Aspekt. Und das zweite ist eben Ich muss oder ich will Zuwanderung kontrollieren. Das ist der große Ansatz des Parlamentarischen Rates. Sie sagen, wir sind eine schwache Nation. Wir können es uns nicht leisten, zu viel zu geben. Wir können nur diese kleine Gruppe schützen. Und wir wollen im Grunde die große Masse der Flüchtlinge soll weiterwandern oder wieder zurück in ihre Heimat gehen. Das sind die beiden Elemente des Asylrechts im Grundgesetz, und zwar bis heute. Das ist bis heute so!

WEMBER: Zunächst spielte der Asylparagraph so gut wie keine Rolle. Viel wichtiger war die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Was hat die denn zum Inhalt?

MAYER: Viele denken, dass die Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht auf Asyl gewährt. Das tut sie aber nicht. Die Genfer Flüchtlingskonvention gewährt den Staaten die Möglichkeit, Asyl zu gewähren und die Staaten können selbst entscheiden, wie diese Verfahren ablaufen usw.

WEMBER: Man darf es genießen, wenn der aufnehmende Staat es möchte.

MAYER: Genau. Die Flüchtlingskonvention geht noch ein bisschen weiter als die Menschenrechtserklärung, weil man an den Grenzen nicht abgewiesen werden kann. Man darf nicht zurückgewiesen werden an der Grenze, das ist was Besonderes und was Neues. Also ich kann eine Grenze nicht einfach abgeschoben werden, sondern es sollte schon ein Verfahren geben. Das ist neu.

WEMBER: Will sagen, ich darf keine Flüchtlinge abweisen. Panzer auffahren geht nicht.

MAYER: Theoretisch nicht.

WEMBER: Und wenn ich sie ins Land gelassen habe, muss ich ihnen einen Mindeststatus zubilligen.

MAYER: Wenn ich sie anerkannt habe, dann schon. Genau.

WEMBER: Dann, wenn ich sie nicht anerkenne.

MAYER: Die Genfer Flüchtlingskonvention sagt dann, dass ich dann die Leute wieder zurückweisen kann oder ausweisen kann.

WEMBER: Wohin.

MAYER: Das ist eben die große Schwierigkeit. Normal würde man sagen an den Heimatstaat oder an den ursprünglichen Aufenthaltsort. Das sind die die Formulierungen.

WEMBER: Da sind sie ja gerade geflohen, da wollen, da können die meisten ja auch gar nicht zurück.

MAYER: Also eine Verwaltung würde damals argumentieren in den 50er. Na ja, ich habe ja die aufgenommen, die wirklich verfolgt sind. Die anderen sind ja nur aus wirtschaftlichen Gründen gekommen, deswegen können die auch wieder nach Hause gehen. Es funktioniert in der Praxis halt nicht so wirklich gut mit dem Zurückführen. Zum Beispiel in den 50ern, in der Bundesrepublik, kommen Flüchtlinge aus Jugoslawien, gehen hier vor Ort zu einem Unternehmen, sagen: Hallo, ich will hier arbeiten, und dann bekommen die halt eine Aufenthaltserlaubnis und beantragen kein Asyl, weil: Das brauchen sie ja nicht, weil sie werden gebraucht als Arbeitskräfte und deswegen bekommen sie immer wieder eine Aufenthaltserlaubnis. In der Regel beantragen die erst dann Asyl, wenn sie ausgewiesen werden sollen. Wenn zum Beispiel die Ausländerbehörde vor Ort sagt: Also wir wollen dich jetzt nicht mehr haben, bitte geh wieder zurück nach Jugoslawien.

WEMBER: Jetzt wird es spannend, weil solange Arbeitskräfte gesucht werden, sind Emigranten sehr willkommen und dann gibt es auch wenig Probleme.

MAYER: Genau.

WEMBER: Und in der Phase ist es so, dass das Asylrecht nur genutzt wird von Menschen, die ausgewiesen werden sollen, dass sie nicht ausgewiesen werden. Es gibt ein Beispiel von einem kurdischen Spion, habe ich jetzt bei Ihnen gelesen, der als Sicherheitsrisiko eingestuft wurde. Wo aber dann das Gericht entschieden hat, er darf nicht ausgewiesen werden in die Türkei, weil er dort hingerichtet werden könnte?

MAYER: Ja, genau. Der Fall dieses Kurden ist unglaublich spannend. Ich muss vielleicht noch mal erklären, wie das ist mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Genfer Flüchtlingskonvention bezieht sich nur auf Verfolgungen, die vor dem 1. Januar 1951 aufgetreten sind. Also man hat so einen Stichtag damals mit reinverhandelt. Warum? Weil die Gruppe der Flüchtlinge wollte man begrenzen.

WEMBER: Man wusste ja nicht, was alles noch kommt auf der Welt.

MAYER: Ganz genau. Das heißt, diese Genfer Flüchtlingskonvention ist auch ein Instrument des Kalten Krieges, um zu zeigen okay, diese Flüchtlinge, das sind eigentlich die Menschen, die wir schützen wollen.

WEMBER: Deswegen werden das meistens auch keine Kommunisten sein, die da flüchten.

MAYER: Jetzt gibt es aber auch Flüchtlinge, die aus westlichen Staaten kommen. Die Person soll ausgewiesen werden. In dem Moment kann ich mich auf Artikel 16 berufen und sagen: Moment mal, ich bin doch politisch verfolgt. Und dann gibt es aber kein Asylverfahren, sondern dann sagt die Ausländerbehörde Okay, du bist politisch verfolgt. Es gibt diesen Artikel 16. Wir nehmen jetzt unseren Ausweisungsbeschluss wieder zurück.

WEMBER: Also kein eigenes Verfahren, sondern nur eine Notfallregelung. Mit der ich durchsetzen kann, dass ich einfach nicht abgeschoben werde.

MAYER: Also im Grunde geht es hier nur darum, dass ein Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Die Behörde stellt ein Papier aus, sagt: Du musst weg und dann nimmt sie das Papier wieder zurück. Mehr nicht. Das ist die Wirkung von Artikel 16 bis 1965. Und deswegen auch dieser Kurde, von dem wir gesprochen haben. Und dann sagt Anfang der 60er die Debatte in der Verwaltung in Westdeutschland, die sagen: Wir können die Leute nicht loswerden, wir brauchen irgendein Mittel, um die Leute ausweisen zu können. Wir brauchen Asylverfahren auch für die Leute, für die wir bisher keine Verfahren hatten. Das heißt, wir brauchen Asylverfahren nach Artikel 16, weil wir dann den Menschen den Status eines Genfer Konvention Flüchtlings geben. Und dann haben wir die Möglichkeit, die auszuweisen, die wir bisher nicht ausweisen können. Das ist die Idee, warum man unbedingt diese Verfahren nach Artikel 16 braucht. Als Mittel zur Zuwanderungskontrolle, um Leute ausweisen zu können. Und deswegen wurden die 65 dann eingeführt.

WEMBER: Da gab es dann ein Ausländergesetz. Ich versuche es noch mal zusammenzufassen. Wenn ich jetzt den Menschen einen Status auch gerichtlich zubilligen kann, kann ich sie unter die Genfer Flüchtlingskonvention packen und könnte sicherheitsrelevante Personen tatsächlich wieder abschieben, sogar in die Ursprungsstaaten.

MAYER: Genau. Und das zweite, was wichtig ist, ist die Kontrolle. Ein Flüchtling aus Algerien zum Beispiel. Ich nehme das Beispiel, weil es einfach die große Gruppe war in den 50ern. Der ist im Bundesgebiet, und es gibt keine Kontrolle über ihn. Und da sagen die Polizeibehörden: Um Gottes willen! Keine Kontrolle. Wir wollen die Leute kontrollieren. Wenn ich jetzt ein Asylverfahren mache, dann kommt die Person in ein Lager, wird von der Polizei überprüft. Das heißt, ich habe eine ganz massive Kontrolle über die Menschen, und wenn ich sie ablehne, habe ich sie schon im Lager und kann sie ausweisen. Deswegen dieser Plan. Also aus diesem Grund verstehe ich die AfD nicht, die gegen Asyl schimpft, weil ohne Asylverfahren habe ich diese Kontrolle nicht. Also deswegen: Ich habe Asyl als humanitäres Mittel, um Menschen zu schützen, aber auch Asyl immer zur Kontrolle und zur Überprüfung und Überwachung. Ohne diese Verfahren habe ich das nicht, weil dann die Leute kommen illegal in mein Land, melden sich in keinem Lager, sind dann irgendwo untergetaucht und das ist das, was wir 47 in Niedersachsen hatten. Flüchtlinge aus der sowjetischen Zone kommen nach Niedersachsen. Sie wissen, sie müssen ein Asylverfahren machen. Und wenn ich jetzt weiß, ich kann sowieso nichts nachweisen, dann gehe ich doch nicht in ein Lager. Und genau das ist 47 In Niedersachsen passiert.

WEMBER: Die Kriminalisierung.

MAYER: Die meisten Leute sind überhaupt nicht ins Lager gegangen, weil sie wissen, sie würden ja eh abgewiesen. Das heißt, die sind einfach irgendwo vor Ort untergetaucht, und die Polizei hatte keine Kontrolle über sie. Manche mussten kriminell werden, um irgendwie sich durchzuschlagen.

WEMBER: Ich möchte jetzt einen kleinen Exkurs mit Ihnen wagen, nämlich Asyl im Ausreiseland DDR. Patrice G. Poutrus hat darüber ein Buch geschrieben: „Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart“. Er beschreibt darin, dass es ja auch kommunistische Flüchtlinge gab aus dem Spanischen Bürgerkrieg, aus dem griechischen Bürgerkrieg, dann 1973 aus Chile. Kommunisten, die in die DDR geflohen sind und wie man dort damit umgegangen ist. Nämlich wie?

MAYER: In der DDR hat man so kleine Gruppen auch aufgenommen, auch aus propagandistischen Gründen. Die sind aber teilweise auch ein bisschen separiert von der eigenen Bevölkerung. Die Menschen, glaube ich, werden eher benutzt, um zu zeigen: Wir sind doch ein tolles Land.

WEMBER: Wie wurden die dort behandelt? Was wurde von denen erwartet?

MAYER: Im Grunde hat man gesagt: Die müssen natürlich auch jetzt dankbar dafür sein, dass sie bei uns leben dürfen. Sie müssen Vorzeigekommunisten sein. Letztendlich hatten die recht schwierige Verhältnisse, auch am Arbeitsplatz, waren separiert von der Bevölkerung. Also es gibt bei den griechischen Einwanderern teilweise auch Fälle von guter Integration, auch bei den spanischen Flüchtlingen, aber teilweise wandern sie dann auch wieder weiter oder wandern wieder aus der DDR, fliehen weiter, vor allem vor 61 natürlich, als es noch möglich ist. Ich habe da auch Fälle gehabt von Kommunisten, die dann im Grunde wieder in die Bundesrepublik kommen und hier Asyl beantragen, weil sie sagen, wir wollen nicht in der DDR bleiben.

WEMBER: Es gibt ein Wendedatum, wenn man so will, was das Thema Asyl anbetrifft, nämlich dass es plötzlich politisch richtig aufgeladen wurde. Das war das Jahr 1973. Vor allen Dingen wegen der Wirtschaftskrise.

MAYER: Ich habe ja davon gesprochen, dass Asyl vor allem ein Mittel der Zuwanderungskontrolle ist. Und das braucht man vor 73 nicht, weil diese Bundesrepublik, die floriert, die Wirtschaft. Man braucht einfach viele Arbeitskräfte, Das heißt, man ist eigentlich dankbar um Menschen, die kommen. Und dann, mit der Ölkrise in den 70er, Anfang der 70er Jahre, sieht man: Okay, es gibt wirtschaftliche Schwierigkeiten, man möchte eben keine Menschen mehr haben, keine Migrantinnen, Migranten, die in der Bundesrepublik arbeiten. 73 werden die Grenzen geschlossen in dem Sinne, dass man keine Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter mehr zulässt. Und dann wandelt sich dieses Instrument Asyl plötzlich.

WEMBER: Aus Anwerbung wurde Abwehr in den 70er Jahren, und dann gab es plötzlich ganz böse politische Kampfbegriffe wie Asylantenflut, Wirtschaftsflüchtlinge, Überfremdung, „Deutschland den Deutschen“ als Parole. Und als dann in den 80er Jahren im Schnitt etwa 100.000 Menschen kamen, zum Beispiel auch Tamilen über die DDR, dann eingeschleust, kann man fast sagen, da wurde es zum ganz großen Thema. Und dann erst recht nach der Wende, weil dann durch den Zusammenbruch des Sowjetimperiums durch die Balkankriege jede Menge Menschen zu uns kamen. 1992 waren es 438.000.

MAYER: Plötzlich wird Asyl zu dem aufgeladenen politischen Thema. Vor 73, sage ich mal: Es gibt eine legale Möglichkeit, um ins Bundesgebiet zu kommen. Es gibt die Möglichkeit, im Bundesgebiet einzureisen und hier Arbeit zu bekommen. Und auch eine Aufenthaltserlaubnis. Nach 73 geht es so nicht mehr. Also die legale Arbeitsmigration ist gestoppt. Das heißt, alle Menschen, die ins Bundesgebiet kommen, um hier zu arbeiten, die müssen über diese Asylschleuse gehen. Also diese Asylverfahren sind die einzige Möglichkeit des Zugangs und deswegen sind diese Asylverfahren plötzlich völlig überlaufen, weil es keine andere Möglichkeit mehr gibt, um im Bundesgebiet arbeiten zu können. Deswegen sind wir heute schlauer, weil: Wir haben eben heute die Möglichkeit, über eine Einwanderungsgesetzgebung zu sagen: Bestimmte Leute, die wir brauchen, Facharbeitskräfte usw., können über diesen Weg ins Bundesgebiet kommen und müssen nicht diesen Weg über die Asylverfahren nehmen.

WEMBER: Patrice Boutros nennt das sogar den Gründungsakt der Berliner Republik, was dann 1993 geschah, nämlich der sogenannte Asylkompromiss. Was war das?

MAYER: 93, dieser sogenannte Asylkompromiss, wo man sagt, dass Personen, die aus Drittstaaten kommen, in denen es keine Verfolgung gibt, die können kein Asyl im Bundesgebiet beantragen. Und der Klassiker ist eben: Die Leute kommen ja über andere Staaten, also aus dem Osten. Bis 1989 sind die Leute über Österreich zum Beispiel in der Regel eingewandert nach Bayern und so in die Bundesrepublik. Indem ich jetzt sage, es gibt sichere Drittstaaten, habe ich die Möglichkeit, dass ich kein Asylverfahren mehr durchführen muss oder relativ wenige, weil nämlich kaum jemand direkt ins Bundesgebiet kommt. Vor allem, wenn man dann auch die Flughäfen dicht macht. Man hat es dann letztendlich über dieses Dublin-Verfahren auch europaweit ausgelagert und hat damit gesagt, wir schieben die Asylverfahren letztendlich auf die Haupt-Einwanderungsländer, das sind eben Italien, Spanien, Griechenland, dort wo die Einwanderungsrouten sind. Und wir überlassen denen das Problem. Was natürlich nicht funktionieren kann, wenn ich sage: Ihr Italiener, ihr müsst jetzt einfach zusehen, wie ihr damit klarkommt, und alle Verfahren müssen bei euch laufen. Ist klar, dass Italien sagt: Nein, machen wir nicht mit. Wir lassen die Leute einfach durch und lassen die weiterwandern und sagen: Ihr seid eigentlich nie wirklich hier bei uns gewesen.

WEMBER: Dann stellen die den Erstantrag in Deutschland.

MAYER: Jeder schiebt das Problem zum anderen, und so funktioniert es natürlich nicht.

WEMBER: Es gibt Statistiken, dass zum Beispiel Zypern pro 1000 Einwohner die höchste Zahl an Asylbewerbern pro Jahr hat, etwa dreimal so hoch wie Deutschland, Österreich aber auch noch doppelt so hoch wie Deutschland, aber in Deutschland selbst auch eine überdurchschnittlich hohe Quote ist. Mehr als Frankreich und Italien zum Beispiel. Das war der Effekt, dass die Ankommenden einfach durchgewunken wurden und dann erst in Deutschland den Antrag gestellt haben?

MAYER: Ein Staat, der wirtschaftlich prosperiert, zieht natürlich auch mehr Menschen an. Die USA haben ihre Grenzen ja auch massiv dicht gemacht, 62, in Bezug auf Mexiko. Und vorher hatten die normale legale Einwanderung. Die Leute sind gekommen und wieder gegangen. Ein Saisonarbeiter kommt dann jeden Sommer nach Arizona oder nach Kalifornien, arbeitet auf dem Feld, geht wieder nach Hause. Und in dem Moment, wo die Grenze zu ist, geht die Person ja nicht mehr zurück. Völlig klar, weil die Grenze ist ja zu. Und er bringt natürlich auch die Familie mit, weil man ja jetzt langfristig da wohnen will. Das heißt, über die Grenzschließung hat man in den USA massiv letztendlich illegale Einwanderung forciert. Im Jahr sind es schätzungsweise mindestens 1 Million Menschen. Man weiß es nicht so genau, weil die Menschen ja illegal dort vor Ort leben. 73: wir haben die Grenze zugemacht. Und was machen die Menschen? Ich bin ein Gastarbeiter aus der Türkei. Was mache ich? Ich komme nicht mehr nach Hause. Was mache ich? Ich hole meine Familie nach. Das heißt, auch da muss man überlegen, was passiert eigentlich, wenn ich eine Grenze zumache? So einfach ist es nicht: Da kommt ja keiner mehr.

WEMBER: Da braucht man die Nachzugsbegrenzung. Gab es dann ja auch.

MAYER: Genau das hat man dann später eingeführt. Aber Sie können natürlich, wenn Sie sagen, die Leute sollen sich integrieren und die sollen nicht kriminell werden oder sonst wie, sage ich mal, auffällig werden. Ist natürlich immer besser, wenn die Familie dabei ist, dann geht es den Menschen besser und dann sind sie gut integriert.

WEMBER: Es gibt diesen Dublin-Prozess. Da hat man vereinbart, dass jeder Asylantrag in der EU nur einmal geprüft wird in einem Land, um auch dieses sogenannte Asylshopping zu verhindern, dass ich dann, wenn ich in einem Land abgewiesen werde, im nächsten noch mal einen neuen Antrag stellen kann. Das scheint ja auch sinnvoll zu sein.

MAYER: Genau das war eben der Versuc,h und es funktioniert teilweise. Und jetzt gab es ja im letzten Jahr eine Reform. Es gibt ja ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das ist reformiert worden und verbessert worden. Die EU, finde ich, ist auf dem richtigen Weg und hat die richtigen Lösungen. Es dauert halt alles, bis das umgesetzt wird. Also die Lösung ist eben, dass man sagt, die Außengrenzen sind geschützt und das macht die EU sehr massiv, das fällt oft gar nicht auf. Man hat in den Medien das Gefühl: Da kommt jeder in die EU. Die EU hat massiv ihre Grenzen dichtgemacht und nicht nur ihre Grenzen dicht gemacht, sondern Wir haben ja auch eine vorgelagerte Grenzkontrolle. Die EU hat Missionen in verschiedenen Ländern, in Afrika, zum Beispiel im Tschad und anderen Staaten, wo sie sehr früh Migrantinnen und Migranten sagt: Ihr kommt gar nicht in die EU, ihr kommt sowieso nicht rein, bleibt hier. Es gibt Projekte vor Ort, dass die Leute dort angesiedelt werden, dass man guckt, dass Leute erst gar nicht fliehen. Fluchtursachenbekämpfung, also Berufsausbildung, Unternehmensgründung vor Ort usw. Also dass die Leute erst gar nicht nach Nordafrika hoch wandern. Also auch da versucht die EU sehr viel Außengrenzschutz, also da passiert extrem viel, und in der EU funktioniert es eben nur, wenn wir sagen, wir haben zum Beispiel ein Asylverfahren in einem Staat und dann im Grunde eine Aufteilung über eine Quote, dass die Menschen letztendlich in der EU verteilt werden bzw. Staaten, die keine Menschen aufnehmen, dafür bezahlen müssen.

WEMBER: Zum Beispiel die Ungarn.

MAYER: Genau, die Ungarn zum Beispiel. Oder Polen oder andere Staaten. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Leute auch irgendwie mitmachen. Und das ist halt das große Problem. Jeder schiebt es auf die anderen. Wir haben es ja auch aktuell, dass wir sagen: Wir machen die Grenze nach Polen dicht. Sollen die Polen zusehen, wie sie damit klarkommen. Und Polen? Sagen: Nö, wollen wir auch nicht. Und die schieben die Leute dann über die grüne Grenze doch wieder ins Bundesgebiet. Es funktioniert eben nur, wenn jeder seinen Anteil letztendlich trägt, man solidarisch ist, und dann hat man das Problem auch relativ gut im Griff. Aber wir sind auf dem Weg. Bei Asyl ist das immer so, es ist nicht die einfache Lösung, sondern es hapert immer mal, aber im Großen und Ganzen haben wir ein System, das ja auch funktioniert, trotz alledem.

WEMBER: Ein Punkt noch zum Dublin-Prozess. Da sollen dann auch sichere Herkunftsländer bestimmt werden. Im letzten Jahr hat die EU schon vorgeschlagen: Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien. Das heißt, dann gibt es bei Menschen aus solchen Ländern Schnellverfahren, um ganz schnell dann auch zu entscheiden, was genau passiert?

MAYER: Die werden dann im Grunde direkt abgelehnt, Außer, wenn sie ganz besondere Gründe vorbringen. Und was da auch dahinter steckt natürlich: Die Überlegung, kann man Asylverfahren auslagern in außereuropäische Länder, was Großbritannien ja versucht hat gesagt hat: Wir machen das in Ruanda. Es funktioniert halt praktisch nicht so gut.

WEMBER: Und ist auch extrem teuer.

MAYER: Es ist extrem teuer. Es ist halt immer die Frage: wieviel Geld möchte ich in die Hand nehmen, um bestimmte Probleme zu lösen? Ich denke, ein rechtsstaatliches Verfahren funktioniert eher auf dem Boden der EU, dass man hier, sage ich mal, Lager in Griechenland, Italien, Spanien hat, wo man die Verfahren dann vernünftig rechtsstaatlich, aber natürlich auch zügig durchführen kann. Aber es gibt eben die Überlegung, dass man das zum Beispiel in Marokko, in Tunesien macht und letztendlich die Staaten dort gut dafür bezahlt, dass sie diese Verfahren durchführen. Die Idee ist halt, dass die Menschen dann erst gar nicht im EU-Gebiet sind und damit auch eher wieder in ihre Heimat zurückgehen. Werden sie wohl auch nicht tun. Da ist die Frage, was bezahlt man Marokko dafür, dass die Menschen dann letztendlich in Marokko bleiben.

WEMBER: Knapp die Hälfte der Verfahren endete im vergangenen Jahr so, dass die Antragsteller einen Schutzstatus bekommen haben: 44,4 %. Nach welchen Rechtsnormen wurde das entschieden? War das immer dieses Asylrecht nach dem Grundgesetz oder der Genfer Konvention oder einfach nur ein Schutzstatus?

MAYER: Die meisten erhalten eben diesen Schutzstatus, das heißt, dass sie aktuell nicht ausgeliefert werden dürfen oder ausgewiesen werden dürfen. Also im Grunde das, was man oft als Duldung bezeichnet. und was interessant ist, die Leute, die wirklich anerkannt werden nach dem Asylartikel im Grundgesetz Artikel 16, da sind es etwa 0,7 %, also eine ganz winzige Zahl. Deswegen verstehe ich auch diese große Debatte um den Asylartikel nicht, weil der ist in der Praxis relativ wenig relevant. Die meisten Menschen, über 16 %, werden nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Weil nämlich die Genfer Flüchtlingskonvention flexibler ist und mehr Möglichkeiten bietet im Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden. Diese Riesendebatten, die wir immer führen um Artikel 16 sind eigentlich ja kaum relevant. Es gibt die Menschen mit einem Schutzstatus, Duldung usw, die größer ist. Und da ist dann immer die Frage, wann und wie kann ich die dann ausweisen?

WEMBER: Das läge dann im Ermessen des Staates zu sagen Wen behalten wir hier? Wer ist für unsere Wirtschaft zum Beispiel ganz pragmatisch wichtig und wen schieben wir wieder ab?

MAYER: Wenn ich als syrischer Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden wäre, dann bleibe ich im Bundesgebiet, dann habe ich einen dauerhaften Aufenthaltsstatus. Wenn ich aber nur geduldet bin, dann kann der Staat sagen: Okay, jetzt beenden wir die Duldung, und jetzt musst du wieder zurückgehen.

WEMBER: Die Zahl der Asylanträge ist auch stark zurückgegangen, hat sich halbiert von 2024 auf 2025, sodass wir jetzt damit rechnen, dass es in diesem Jahr etwa 122.000 Anträge gibt. Also da hat es doch einen sehr starken Rückgang gegeben.

MAYER: Genau. Das ist klassisch auch, dass es immer wieder Zeiten gibt, wo mehr Flüchtlinge kommen und Zeiten, wo es dann auch ruhiger ist. Spannenderweise hat das nicht viel mit den politischen Debatten zu tun. Also die politische Debatte ist immer noch ganz massiv, sehr brennend. Man hat das Gefühl: Um Gottes willen, das ist eines unserer größten Probleme. Aber in der Praxis ist es das nicht. Aber Asylpolitik ist einfach das Mittel, um letztendlich Wahlen zu beeinflussen, sage ich mal, und man versucht dann letztendlich Leute zu mobilisieren mit den Ängsten. Und wir wissen ja auch in den Ländern in der Bundesrepublik, wo wenig Flüchtlinge leben, dort gibt es am meisten Ausländerhass und dort letztendlich, ja kommen Parteien auch an die Macht, die sehr ausländerfeindlich sind. In den Ländern, wo mehr Ausländer leben, da ist es eben nicht der Fall, weil man natürlich diesen Kontakt zu den Menschen hat. Und sie sind einfach ganz normale Menschen, die arbeiten möchten, die sich integrieren möchten und natürlich, wie ich, wie jeder andere auch so ihre Vor- und Nachteile haben. Aber ich kenne zum Beispiel nicht diese idealen Deutschen, die Tag und Nacht hart arbeiten. Ich weiß nicht, ob es davon so viele in diesem Land gibt, sondern wir sind einfach alle Individuen mit unseren Vor- und Nachteilen. Jeder hat seine Schwächen und seine Stärken, und so funktioniert eben auch Gesellschaft.

WEMBER: Wir sprachen am Anfang über die 7,1 Millionen Menschen, die das Verfahren durchlaufen haben in der Bundesrepublik. Man kann sagen enorm viele. Man kann auch sagen: Gut, dass sie gekommen sind. Wie würden Sie das als Historiker betrachten, nach all den Debatten, die Sie erforscht haben? Haben wir da einen gelungenen Umgang mit gefunden oder war das halbherzig oder misslungen oder völlig verfehlt?

MAYER: Ich denke, man hat es lange, sehr halbherzig betrieben. Also die Frage von Integration, gerade auch bei den Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern, weil man immer gesagt hat, die sollen ja sowieso zurück und wir sind kein Einwanderungsland usw. Man hat sich damit große Probleme geschaffen. Man hat zum Beispiel in den 60er Jahren noch türkische Nationalklassen gehabt, das heißt, die Kinder von türkischen Gastarbeitern, hat man gesagt, die gehen ja sowieso bald zurück und die wurden dann in Schulen auf Türkisch von türkischen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Und damit hat man sich Probleme geschaffen, weil die Leute nicht vernünftig Deutsch gelernt haben, die Integration nicht voran gegangen ist usw. Das heißt lange Folgeprobleme. Ich finde, seit 2015 ist es deutlich besser. 2015 hat man gesehen, die Leute kamen an, aus Syrien zum Beispiel. Man hat sofort Integrationsklassen gehabt. Man hat sofort versucht, zum Beispiel Mutter-Kind-Kurse. Das gab es in den 60er, 70er, 80er Jahren nicht. Aber es ist so wichtig, dass die Mütter eben auch Deutsch lernen und eben nicht zu Hause sitzen, sich um die Kinder kümmern. Das sind diejenigen, die die Sprache weitertragen. Also da macht man viel mehr. Die Integration ist viel besser geworden, viel schneller. Wir sehen auch, dass die Flüchtlinge sehr schnell in Ausbildung gekommen sind, in Arbeit. Es zahlen eben erstaunlich viele jetzt schon ihre Steuern. Ganz normal. Man hat eigentlich gedacht, es dauert viel länger, bis das so läuft, dass die Leute einfach mal völlig selbstständig sind. Aber das läuft insgesamt gut. Wir haben es lange schlecht gemacht, halbherzig. Aber es ist deutlich besser geworden, trotz natürlich heftiger politischer Debatten. Aber ich sehe vor Ort, dass die Menschen eigentlich heute viel offener und freundlicher sind, auch den Menschen gegenüber als noch in den 50er, 60er Jahren.

WEMBER: Herr Mayer, vielen Dank.

MAYER: Ja, bitte schön. Sehr gerne. Hat mich sehr gefreut.

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