Flucht und Vertreibung 1945
Shownotes
Flucht und Vertreibung sind seit Jahrtausenden prägende Erfahrungen für Menschen weltweit – so auch nach 1945 in Deutschland, als zwölf bis vierzehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in das zerstörte Nachkriegsdeutschland kamen. Viele von ihnen sahen sich dabei in erster Linie als Opfer eines historischen Unrechts und blendeten die Vorgeschichte nationalsozialistischer Verbrechen oder eine mögliche Eigenverantwortung weitgehend aus. Im neuen historycast analysiert Philipp Ther im Gespräch mit Almut Finck, wie dieses Selbstbild entstand. Ther spricht außerdem über die Herausforderungen, vor denen Millionen Menschen bei ihrem Neuanfang standen. Wie wurden die Vertriebenen aufgenommen? Welche Vorurteile und welche Solidarität begegneten ihnen? Und wie beeinflusst die Erinnerung an diese Zeit unser heutiges Verständnis von Migration und Integration?
**Philipp Ther **ist Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien und ein renommierter Migrationsexperte. Im Gespräch mit Almut Finck ordnet der Träger des Wittgenstein-Preises Flucht und Vertreibung 1945 auch in die Geschichte globaler Zwangsvertreibungen im 20. Jahrhundert ein und zieht Verbindungen zu gegenwärtigen Fluchtbewegungen.
Dr. Almut Finck ist Radiojournalistin und Kulturwissenschaftlerin aus Berlin.
Staffel 4, Folge 10 des historycast - was war, was wird? des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands e. V. [http://geschichtslehrerverband.de]
Gefördert wird das Projekt durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte.
Transkript anzeigen
TEASER
THER: Es gibt viele Geschichten, und man soll sie in ihrer Gesamtheit wahrnehmen. Dann kommt man auch sehr schnell drauf, dass dieses von den Vertriebenenverbänden auch gestützte Narrativ, bis 1944 war die Welt so halbwegs in Ordnung, jetzt abgesehen von Weltkrieg und den Gefallenen, und dann kamen die Russen, und dann begann das große Unheil, dass das eben sehr einseitig ist.
Was war – was wird
Der historycast des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands
Staffel 4: Demokratie und Migration. Wege und Stationen in der deutschen Geschichte
Folge 10: Flucht und Vertreibung 1945
Almut Finck im Gespräch mit Philipp Ther
FINCK: 2015 haben wir eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft erlebt, als hunderttausende, vor allem syrische Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wenn diese Welle dann auch sehr schnell wieder verebbt ist. Viele Geflüchtete wurden damals an Bahnhöfen mit Applaus und Spenden und wirklich offenen Armen empfangen, und Schätzungen zufolge engagierten sich bis zu 9 Millionen Menschen ehrenamtlich für die Geflüchteten. Herr Ther, wie war das 1945, als zwölf bis 14 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und Südosteuropa in das zerstörte Nachkriegsdeutschland kamen? Gab es da eine vergleichbare Willkommenskultur unter der einheimischen Bevölkerung?
THER: Selbstverständlich nicht. Die Voraussetzungen waren ja ganz andere. Allgemein herrschte große Not. Es gab ja nicht nur die Vertriebenen und Flüchtlinge, sondern auch die Ausgebombten, die zum Teil auch umhergeirrt sind. Und es waren ja viel, viel mehr Menschen auf den Straßen des dann ja bald kompletten besetzten Deutschlands unterwegs. Also es gab auch viel weniger Ressourcen, um die Menschen zu versorgen, und natürlich auch Konflikte um Ressourcen. Und da darf man nicht vergessen, dass es auch eine Art negative Vorbereitung gab. Goebbels persönlich sprach ja noch kurz vor Ende des Krieges von den Rucksackdeutschen. Da war ja so implizit der Vorwurf, naja, die hauen ab, anstatt sich gegen die Russen zu wehren. Also sprich, das war auch denkbar schlecht vorbereitet bzw. dann auch das wieder, die Aufnahme, nationalsozialistisch kontaminiert. Und dann gab es ja auch noch Zweifel, wie deutsch denn überhaupt die Menschen sind, die da ankommen. So ganz eindeutig war das ja in der Tat nicht immer, gerade bei den Volksdeutschen oder den Angehörigen der Minderheiten. Also auch da haben sich dann viele Vorurteile entladen. Und manchmal wurden die Menschen, die ankamen, beschimpft, zum Beispiel als Polacken, also das alte Schimpfwort. Man darf bei all diesen Problemen aber nicht vergessen, dass es auch sehr viel spontane Hilfsbereitschaft und Aufnahmebereitschaft gab. Von daher gibt es immer zwei Seiten. Die negative, aber schon auch, klar, die positive, also wirklich Solidarität in der Notlage.
FINCK: Sie haben gerade ein Schimpfwort genannt, Polacken. In der Forschung liest man oft, antislawische Ressentiments gegen die aus dem Osten – jetzt wo die Zwangsarbeiter weg waren, wurde das übertragen auf die, die dann kamen aus Breslau oder Königsberg. Können Sie das bestätigen, dass diese Ideologie eben immer noch da war und dann einfach übertragen wurde?
THER: Bei den grenznahen Gebieten war das wahrscheinlich weniger ein Problem, also bei den Niederschlesiern beispielsweise. Aber bei den Oberschlesiern, die zum Teil ja auch mit Akzent sprachen, oder bei Minderheitenangehörigen aus dem eigentlichen polnischen Gebiet oder auch bei den Siebenbürgern etc. gab es ja viele Menschen, die einen Dialekt hatten oder einen Akzent, der denen, die sie aufnehmen mussten, ja fremd war. Und da gab es dann schon solche Vorurteile, ja sind das überhaupt richtige Deutsche? Und eben! Zwölf Jahre Nationalsozialismus bedeutete auch zwölf Jahre lang die Idealisierung von ethnischer Homogenität und von irgendeinem vorgestellten Germanentum. Da hat das nicht so reingepasst, und von daher bekamen das diese Menschen oft zu hören. Und das war in der Tat sehr schmerzhaft, weil – erst wurden sie ja vertrieben eben als Deutsche. Dann kommen sie dort an, also in dem was von Deutschland übriggeblieben war, und wurden dann mit diesen Vorurteilen konfrontiert. Das hat viele Menschen sehr verletzt.
FINCK: Ich habe hier ein Zitat, das habe ich gefunden bei dem Migrationsforscher Rainer Schulze. Ein Einheimischer hat geschrieben, da wurden auch oft so Aushänge tatsächlich gemacht, und da heißt es, also 1945: „Die Besatzung ist nicht gefährlich. Für das Volk ist die Flüchtlingssache viel gefährlicher. Es ist die große Frage, ob wir nicht gänzlich überfremdet werden, ob es für uns gut ist, frisches Blut zu bekommen durch die Flüchtlinge. Ob dieses Blut rein ist, ist sehr die Frage. Der Zustrom der Flüchtlinge trägt die Gefahr in sich, dass der ursprüngliche Charakter unseres Volkstums durch Mischung mit land- und artfremdem Charakter seine Echtheit verliert.“ – Das ist ja völkischer Jargon, wie wir das aus dem Nationalsozialismus kennen.
THER: Natürlich, 12 Jahre Nationalsozialismus hinterlassen ihre Spuren. Und das ist nicht nur ein völkischer Jargon, sondern das ist klar nationalsozialistisches Denken. Und das bekamen dann auch die Flüchtlinge ab. Mit diesem Zweifel: Sind das überhaupt richtige Deutsche?
FINCK: 70 Prozent der Geflüchteten und Vertriebenen wurden auf dem Land untergebracht. Das war vielleicht besonders schwer, wenn sie in die Pfalz kamen oder nach Bayern, Schleswig-Holstein, wo oft seit Generationen die Menschen lebten und ganz verwurzelt waren und diese Fremden als Bedrohung empfanden. Vielleicht weil die ihnen auch etwas vorführten, was sie nicht kannten, weil sie ihnen auf einmal zeigten, man kann auch anders leben, als wir das hier tun.
THER: Die Unterbringung auf dem Land war damals eigentlich zwangsläufig und geht ja auch wieder zurück auf die Kriegszeit, als ja auch viele Menschen aus den ausgebombten Städten ebenfalls auf dem Land untergebracht wurden. Dort gab es noch Wohnraum, die Großstädte war ja größtenteils zerstört. Und nach dem Krieg gab es auch eine Art von vorgeschriebener Verteilung. Die Menschen mussten in bestimmte Orte gehen, was aber zunächst ja plausibel war. In den Städten wäre kein Platz gewesen, in Hamburg oder in Dresden gab es selbstverständlich einen Aufnahmestopp dann im Sommer 1945, weil das gar nicht ging. Der Nachteil auf dem Land war, es gab dort wenige oder eben nur bestimmte Arbeitsplätze, also vorwiegend in der Landwirtschaft und, wenn ich hier was Persönliches einflechten darf, auch mein Vater musste damals als Knecht arbeiten, als er 1945 aus dem sogenannten Sudetenland ausgewiesen wurde. Also diese Jobs gab es, und für den Anfang war das gar nicht schlecht, weil es auf dem Land etwas zu essen gab. Aber auf die Dauer war das ein Integrationshindernis, weil die Menschen ja oft ganz anders qualifiziert waren, also z.B. wenn es eben Sudetendeutsche waren oder Oberschlesier, kamen sie aus weitgehend industrialisierten Gegenden, und dann, auf dem Land, war das schwierig mit der Existenz. Aber es gab eben diese Verteilung, eine vorgeschriebene Verteilung mit Schlüsseln, bis hin zu Ländern, aber auch Landkreisen. Im Grunde genommen hat sich das dann in beiden deutschen Staaten dadurch aufgelöst, dass die Menschen, die erstmal auf dem Land aufgenommen wurden, dann ja sehr häufig im Laufe der 50er Jahre in die Städte gezogen sind. Zum Beispiel ins Ruhrgebiet, da gab es dann eine große Binnenmigration, und die Menschen sind dann doch in eine sinnvolle Beschäftigung gekommen und konnten sich in eine neue Existenz aufbauen.
FINCK: Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten, die wir jetzt angesprochen haben – in der kulturellen Erinnerung der Bundesrepublik gilt die Integration der Flüchtlinge nach 1945 als Erfolgsgeschichte. Die Integration auch in die Demokratie. Die haben das Wirtschaftswunder möglich gemacht, die haben möglich gemacht, dass wir in die internationale Staatengemeinschaft wieder aufgenommen wurden. Dieses Narrativ von der erfolgreichen Integration der Flüchtlinge, sehen Sie das als berechtigt an, oder ist das doch eher eine Legende, die wir uns gerne erzählen?
THER: Ich denke, man muss das kritisch hinterfragen, und in diese Richtung hat ja schon Ihre erste Frage geführt, eben nach der Aufnahme. Aber auch danach, also fünf Jahre später, zehn Jahre später lebten ja noch Menschen in Lagern. Und wenn ich jetzt noch einmal einen persönlichen Aspekt aufgreifen darf, ich bin in einem bayerischen Dorf aufgewachsen, und als ich in die Volksschule gegangen bin, gab es dort immer noch Flüchtlinge – also in der Mitte der 70er Jahre, bitte! – die in Baracken wohnen mussten. Das waren Schlesier, und jeder wusste das. Das war sozusagen das Glasscherbenviertel auf dem Dorf. Also man konnte das sogar in den 70er Jahren noch mit eigenen Augen erleben, dass diese Erfolgsgeschichte keineswegs auf alle zutrifft. Und dann kann man das natürlich auf verschiedene Weise aufziehen. Also man kann das anhand von Statistiken hinterfragen. Das habe ich auch getan damals in meiner Dissertation, wo dann eben sich doch herausstellt, dass so eine Flucht auch häufig für die nächste Generation schlechtere Startchancen bedeutet. Andererseits gab es den Lastenausgleich im Westen und in Ostdeutschland die Bodenreform und viele andere Maßnahmen, die auch integrativ gewirkt haben. Dann eben diese Nachkriegsindustrialisierung auch in ländlichen Gegenden, so dass man insgesamt dann doch wieder sagen muss, es gab zahlreiche Erfolge. Nur bei Erfolg und Scheitern ist ja dann auch immer die Frage, was sagen uns denn diese Wörter? Sind dann die, die doch nicht so gut integriert waren, sind die gescheitert? Oder war es nicht vielmehr die Aufnahmegesellschaft? Also insofern sollte man sich, glaube ich, hüten vor diesen Kategorien. Selbst die Menschen, die auf den ersten Blick sehr erfolgreich waren, also sich rasch etwas Neues aufbauen konnten, beruflich wieder einen idealen Einstieg fanden, auch bei denen ist es ja so, dass sie auf privater Ebene diese Erfolgsgeschichte häufig hinterfragen. Weil – das war eine Durchstrecke. Man musste wahnsinnig hart arbeiten. Auf Gefühle wurde wenig Rücksicht genommen, dann auch oft in der nächsten Generation. Es war auf jeden Fall ein harter Weg, mit vielen Auswirkungen auch auf die nächste und die übernächste Generation.
FINCK: Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat 1985 in seiner viel beachteten Rede daran erinnert, dass die Ursachen für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit nicht im Kriegsende 1945, sondern im Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft liegen. Also die massenhafte Vertreibung von zwölf bis 14 Millionen hat eine Vorgeschichte. Sie steht zugleich im Kontext globaler Zwangsmigration im 20. Jahrhundert. Über beides wollen wir heute reden. Bevor wir jetzt aber noch weiter einsteigen, möchte ich unseren heutigen Gast erst mal vorstellen. Philipp Ther ist Historiker und Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien, wo er das Research Center für die Geschichte der Transformationen leitet. Philipp Ther ist einer der renommiertesten Experten für die Geschichte von Flucht und Migration nicht nur in Europa, sondern weltweit. In seinem Buch mit dem Titel Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa spannt er einen Bogen von den Vertreibungen im Mittelalter bis zu den aktuellen Fluchtbewegungen unserer Zeit. Und er zeigt, dass Migration nicht die Ausnahme, sondern ein Normalzustand ist. Inwieweit das auch für Deutschland zutrifft, das wollen wir auch heute diskutieren. Herr Ther, die Vertreibung der Deutschen nach 1945 gilt als die bis zu dem Zeitpunkt größte organisierte Zwangsmigration der Geschichte. Doch auch weltweit waren ja Millionen Menschen damals auf der Flucht. Schätzungsweise 40 bis 60 Millionen waren unterwegs, also nicht da, wo sie hingehörten oder nicht da, wo sie hinwollten. Ich weiß, das ist ein riesiges Feld jetzt, aber können Sie mal etwas rausgreifen, so ein bisschen den Kontext skizzieren? Von welchen ethnischen und nationalen Gruppen und Ländern sprechen wir da?
THER: Das alles begann eigentlich schon vor dem Zweiten Weltkrieg, und zwar mit dem verhängnisvollen Münchner Abkommen. Damit wurde in Mitteleuropa der Minderheitenschutz abgeschafft, und es gab eine Priorität für ethnische Grenzen. Danach galt das Prinzip, dass die Minderheiten auf der neu gezogenen Grenze, also hier konkret in der Tschechoslowakei, die ja Gebiete abtreten musste, obwohl sie überhaupt nicht an der Münchner Konferenz beteiligt war, dass dann die Tschechen, die dort waren, in die Grenzgebiete eigentlich gehen mussten oder, die Alternative, sich an das Deutschtum assimilieren, zumindest nach außen hin. Und das hat dazu geführt, dass 170.000 ungefähr dort wegmussten, also eigentlich schon vertrieben wurden. Und diese Neuordnung Europas nach ethnischen Kriterien, das war kein Einzelfall, sondern das sollte das Modell sein, es gab dann alle möglichen Nachfolgeabkommen, zum Beispiel für die Südslowakei, aber dann auch für Transsilvanien, also das zwischen Rumänien und Ungarn umstrittene Gebiet, und damit wurde die Büchse der Pandora geöffnet. Und während des Zweiten Weltkrieges wurden bereits in Staaten, die mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündet waren oder vom NS-Deutschland beherrscht wurden, ganz viele Millionen Menschen in die Flucht geschlagen oder vertrieben. Bis zu 10 Millionen. Vor allem wenn man dann auch noch jene mitzählt, die vom nationalsozialistischen Deutschland „heim ins Reich“ geholt wurden. Sprich, es gab eine großflächige, wenn man so will, wieder ein NS-Jargon, „ethnische Flurbereinigung“, mit dem Ziel, Homogenität zu schaffen. Dann, vom Deutschen Reich aus auch noch zwei Arten von Politik. Und zwar das eine, man hat bestimmte Gebiete ans Reich angeschlossen. Beispielsweise den so genannten Warthegau, also im Großen und Ganzen das polnische Teilungsgebiet, aber noch ein bisschen darüber hinausgehend. Oder im heutigen Slowenien. Dann eben das erwähnte Sudetenland, sprich die tschechoslowakischen Grenzgebiete. Und in diesen Gebieten gab es dann ganz groß angelegte Pläne, das wirklich komplett arisch zu machen, zu arisieren, also alle slawischen Minderheiten und selbstverständlich Juden, Roma etc. auszuweisen oder zu töten. Das wurde dann zwar nicht ganz so umgesetzt, aber auch dort gab es schon hunderttausende von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Und das zweite war, in besetzten Gebieten, beispielsweise dem Generalgouvernement, dort gab es ja auch großflächige Vertreibungen mit dem Ziel, erstmal deutsche Besiedlungsinseln, aber dann eigentlich Besiedlungsketten zu schaffen und auch dieses Gebiet komplett zu germanisieren. Auch da waren wieder hunderttausende von Menschen betroffen. Da gab es auch Strafaktionen, wie zum Beispiel nach dem Warschauer Aufstand, als die ganze Bevölkerung von Warschau vertrieben wurde und zum Teil in KZ eingesperrt. Also es war schon alles in Bewegung. Es war auch schwer rückgängig zu machen. Auch diese Menschen mussten ja irgendwo hin. Von daher war schon vor dem Ende des Krieges oder eigentlich der sowjetischen Besatzung klar, das schlägt auf die Deutschen zurück. Die müssen dann auch raus, unter anderem um diese Menschen unterzubringen. Und außerdem war dann in gemischt besiedelten Gebieten, wo eben vorher massiv vertrieben wurde, von deutscher Seite aus, wenn man so will, das Tischtuch zerschnitten. Also die dortigen Minderheiten, zum Teil waren sie ja noch da, aber zum Teil eben vertrieben und hatten auch Tote zu beklagen, Verfolgte, KZ-Häftlinge. Und die wollten dann mit diesen Deutschen vor Ort einfach nichts mehr zu tun haben. Wie hätte denn das Zusammenleben aussehen sollen danach? Also von daher war klar, in gemischt besiedelten Gebieten, es wird zu massiver Flucht und gezielter Aussiedlung und Vertreibung kommen.
FINCK: Sie haben gerade genannt: München, das Münchner Abkommen 1938. Aber diese Idee, dass Nationalstaaten ethnisch homogen sein sollten, mit möglichst wenig Minderheiten, die ist doch schon viel älter. Gibt’s eine Urszene oder einen Anfangspunkt?
THER: Ja, es geht auf die Radikalisierung des Nationalismus zurück. Also eigentlich schon Ende des 19. Jahrhunderts kann man nachweisen, es gibt die ersten Forderungen, Minderheiten zu beseitigen. Erstmal mit der Idee der Assimilation, aber dann hat man ja gemerkt, das klappt nicht. Und man findet dann schon vor dem Ersten Weltkrieg konkrete Forderungen nach einer „ethnischen Säuberung“. Deswegen habe ich diesen Begriff auch für mein Buch von 2011 verwendet, nicht weil ich einen schrecklichen Begriff popularisieren wollte, sondern es ist tatsächlich ein Quellenbegriff. Also es gab diese weitgehenden Forderungen, es hat sich immer mehr zugespitzt, und der Nationalismus hat es ja zu eigen, dass ihm eine Tendenz zur Selbstradikalisierung innewohnt. Also die, die am lautesten sprechen und sozusagen die schlimmsten Forderungen stellen, die finden Gehör. Übrigens haben wir leider heute die Situation am rechten Rand bzw. bei der AfD ja wieder, dass die, die die radikalsten Forderungen stellen, auf Gehör stoßen. Beispiel: der missbrauchte Begriff der Remigration. Das bedeutet ja ursprünglich was ganz anderes. Am Anfang ein großer Aufschrei, wie kann das sein – mittlerweile eigentlich normalisiert. Also auch die, die schon lange bei uns sind, sollen wieder raus. Auch das wäre eben eine ethnische Säuberung. Insofern ist das leider, leider wieder aktuell geworden. Aber – das hat sich dann in der Zwischenkriegszeit verselbstständigt. Also erstmal diese radikal-nationalistischen Diskurse mit immer weitergehenden Forderungen. Und zweitens gab es dann auch Modelle, das geht schon zurück eigentlich auf die Pariser Vorortverträge, also die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg. Da gab es in einigen Fällen schon Paragrafen, die die Reduktion dieser Minderheiten vorsahen. Also eigentlich eine Homogenisierung. Damals jetzt noch nicht als zwangsläufige, flächendeckende Vertreibung, man nannte das freiwillig, de facto war’s dann doch meistens zwangshaft. Und auch in bilateralen Verträgen gab es das. Beispielsweise, als es um Oberschlesien ging, nach den Aufständen 1920, 1921, gab es auch schon so ein Schema, eine sogenannte Option, dass Minderheiten beiderseits der Grenzen, das Angebot – aber das war ja kein Angebot, das hatte eine Zwangskomponente – hatten, in ihren „Nationalstaat“, in Anführungszeichen, zu übersiedeln. Also auch schon eine ethnische Homogenisierung, und das haben dann auch schon mehr als 100.000 Menschen beiderseitig wahrgenommen.
Musikakzent
FINCK: Sie haben gerade die Vorortverträge nach dem ersten Weltkrieg erwähnt. In dem Zusammenhang wird immer der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechen und Türken genannt. Können Sie das noch mal kurz skizzieren, und sehen Sie das auch als so eine Art Beginn dieser ganzen schrecklichen Politik der gegenseitigen Vertreibung von Minderheiten in den Nationalstaaten?
THER: Das war das Abkommen von Lausanne, der letzte eigentlich dieser Pariser Friedensverträge, 1923. Da war es so, dass zwei Staaten erstmals darüber übereinkamen, ihr gesamtes Gebiet von Minderheiten zu säubern. Das waren Griechenland und die Türkei, und das war eben flächendeckend. Davor waren solche Dinge regional begrenzt, und es gab noch Auswege und es sollte formal freiwillig sein. Hier war es so, dass tatsächlich zwei Staaten gesagt haben, ok, raus mit den Minderheiten und das eben unter dem Plazet der Großmächte, also auf Frankreich, Großbritannien. Die haben das dann mitbetrieben und sich auf diese Weise, so kann man sagen, die Hände mit schmutzig gemacht. Und das dient dann immer wieder als Referenzpunkt. Übrigens auch Ende der 30er Jahre, in Palästina, in Indien, also eigentlich dann global als Referenzpunkt, als positives Beispiel, einen alten oder uralten Konflikt zu lösen. Das war aber eine Illusion, weil, natürlich – mit diesen Flüchtlingen gab es jede Menge Probleme, und auch die Integration hat so schnell nicht funktioniert. Aber auf diese negativen Seiten hat man eben nicht geschaut, deswegen bin ich auch immer dafür, eben diese Erfolgsgeschichte von Nachkriegsdeutschland zu hinterfragen. Man muss immer Sozialgeschichte dazu machen, also nicht nur die Abkommen anschauen und Friedensverträge und was die große Politik dazu sagt, sondern: Wie hat sich das denn wirklich auf die Menschen ausgewirkt? Das ist die entscheidende Frage, aber da braucht man einen anderen Zugang.
FINCK: Das können wir ja mal so ein bisschen machen, jetzt. Wir haben bisher über Abkommen gesprochen und über die Flüchtlinge, auch ein paar Zahlen genannt. Schauen wir mal auf die Schicksale der Vertriebenen, 1945. Die haben ja auch ihre eigenen, wenn auch erst später, ihre eigenen Geschichten erzählt. Hier habe ich auch wieder ein kleines Zitat, das stammt von der Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski, über ihre Kindheit. Sie sagt, oder sie schreibt: „Die Flucht, die Flucht. Immer die Fluch- Die Geschichte von der Flucht wurde jedes Mal erzählt, wenn zwei Erwachsene zusammenkamen. Sie begann mit, als der Russe kam, und endete damit, dass geweint wurde.“ Jetzt muss man sagen, Reski wurde 1958, fast anderthalb Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Ruhrgebiet geboren. Ihre Eltern stammen aus Schlesien und waren 1945 von dort geflohen. Trotzdem spielt das eine enorme Rolle in ihrer Kindheit. Und diese Fluchterzählung: Am Anfang der Russe, am Ende das Leid der Vertriebenen – Herr Ther, ist das eine typische Fluchterzählung?
THER: Das ist eine typische Fluchterzählung, insofern, als sie ausblendet alles, was davor geschah. Nun, zum Teil wussten das die Menschen nur bedingt. Aber das ist eben wie mit den Konzentrationslagern. Viele wussten doch viel mehr, aber wollten es nicht wissen. Und bei der Flucht, also gerade in den Gebieten, die gemischt besiedelt waren, und das waren ja doch sehr viele, also nicht nur die Siedlungsgebiete der Volksdeutschen, also der eigentlichen Minderheiten jetzt in Polen, auf dem Gebiet von vor 1939 oder in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Rumänien etc. – viele Menschen wussten doch, was dort passiert ist unter nationalsozialistischer Besatzung. Oder sie haben sich zum Teil sogar aktiv an bestimmten Verbrechen beteiligt. Auf jeden Fall haben sie weggeschaut.
FINCK: Und es später ausgeblendet.
THER: Ja. Was dann im Vordergrund stand, ist eben das eigene Leid, und das ist ja auch nur menschlich. Dass man erst mal auf sich selber schaut, auf die Geschichte der eigenen Familie oder der eigenen Umgebung. Und das andere vielleicht auch nicht so wissen wollte, wie man es eben auch vor 1944 nicht wissen wollte, obwohl man es gesehen hat und sehen musste. Es war nicht zu übersehen. Aber dann hat man eben dieses Ausblenden. Und das haben dann auch die Vertriebenenverbände gefördert, indem sie nur auf das eigene Opferschicksal rekurriert haben. Was es natürlich gab, nicht zu leugnen. Aber viele Menschen wussten doch, was davor geschah. Ich hatte eine böhmische Oma, die wusste genau, was 1938 passiert ist. Sie wusste genau, wie die Synagoge gebrannt hat, also in dem Fall in Trautenau. Und bekam dann Zweifel, ob sich das nicht rächt. Und es hat sich gerächt. Von daher ist es nicht so, dass diese Geschichten gleich waren. Es gibt viele Geschichten, und man soll sie in ihrer Gesamtheit wahrnehmen. Dann kommt man auch sehr schnell drauf, dass dieses von den Vertriebenenverbänden auch gestützte Narrativ, bis 1944 war die Welt so halbwegs in Ordnung, jetzt abgesehen von Weltkrieg und den Gefallenen, und dann kamen die Russen, und dann begann das große Unheil, dass das eben sehr einseitig ist.
FINCK: Ich würde gerne einen weiteren blinden Fleck in der Debatte um Flucht und Vertreibung noch ansprechen. Kurz haben wir schon über die sogenannten Volksdeutschen geredet. Rund ein Viertel der Vertriebenen, zweieinhalb bis drei Millionen, wenn ich das richtig im Kopf habe, der Vertriebenen waren sogenannte Volksdeutsche, die eben nicht zum Deutschen Reich gehörten, sondern als Minderheit in der Tschechoslowakei, in der Sowjetunion, in Polen vor allem, lebten. Viele von ihnen, eine knappe Million, zwischen 700.000 und einer knappen Million, wurden im Rahmen des großen Generalplans Ost schon von den Nationalsozialisten umgesiedelt aus ihrer ursprünglichen Heimat und zwar oft in Häuser, aus denen man kurz zuvor Juden und Polen vertrieben hatte. Dann wurden die 1945 ein zweites Mal vertrieben, in die Besatzungszonen. Wir haben trotzdem in der Vertriebenenliteratur, weniger in der Forschung, aber vor allem in der Literatur, immer noch dieses Bild vom einmaligen Heimatverlust: Wir haben unsere Heimat verloren. Dass sie vorher schon entwurzelt wurden, haben die wenigsten erzählt. Jetzt eine provokante Frage: Ist denn der Heimatverlust, wenn er im Rahmen der NS-Umsiedlungspolitik geschieht, ist das ein anderer, ist der vielleicht weniger schmerzhaft, als der Heimatverlust, von dem jetzt Frau Reski erzählt, wenn dann die bösen Russen einen vertrieben haben?
THER: Das war in der Tat anders. Diese Umsiedlung „heim ins Reich“, formell war sie freiwillig, aber man wusste natürlich, was einem bevorstand. Sowjetische Besatzung. Insofern war es klar, dass die meisten gingen und auch gehen mussten. Es gab auch Drohungen von den Nationalsozialisten und auch wieder Nationalsozialisten vor Ort, dass die, die bleiben, eigentlich Volksverräter sind und keinerlei Unterstützung mehr verdient haben. Also es gab so einen starken Druck zu gehen, dass sie eigentlich gehen mussten. Als sie dann angesiedelt wurden im Warthegau, das war ja das bevorzugte Aufnahmegebiet beziehungsweise eigentlich das zwangsläufige Aufnahmegebiet, dann war das für viele Menschen ein Schock. Weil sie nämlich dann gemerkt haben, sie kommen überhaupt nicht „heim ins Reich“, also nach Deutschland, sondern in ein Gebiet, wo sehr viele Polen, auch andere kleinere Minderheiten lebten, zum Teil Juden, und dann haben sie eben gemerkt, ja hoppla. Das ist aber jetzt nicht das erträumte Reich. Und manchmal war es so, dass sie ankamen, am Mittag kam ihr Zug, ihr Transport, und da stand noch quasi die Milch auf dem Frühstückstisch, weil die Polen ein paar Stunden davor aus dem gleichen Haus ausgewiesen wurden. Und für Menschen mit einem normalen oder traditionellen moralischen Kompass war klar, da ist ja den Menschen, die dort raus mussten, ein totales Unrecht widerfahren. Viele haben sich dann auch nicht wohl gefühlt, weil sie wussten, sie leben doch hier in geraubten Häusern und auf Kosten anderer Menschen, die dort früher beheimatet waren. Also es hat zu viel Irritation auch geführt, aber groß beschweren konnte man sich gar nicht, denn das war eben die Politik, Umsiedlung, „heim ins Reich“. So, und der Unterschied zu 1945 oder 1944 lag vor allem darin, dass das alles aber doch ziemlich geregelt ablief. Da gab es einen Transport per Schiff oder per Zug, und dann kam man irgendwo an, dann wurde man weitergeleitet, nicht immer optimal organisiert, aber dann kam man in ein Haus. Also es waren, wenn man so will, gesicherte materielle Bedingungen. Kein Hunger, keine Bomben, keine gegnerische Armee. Und von daher tatsächlich objektiv weniger traumatisch. Für die Menschen aber doch oft schmerzhaft, und auch darüber gibt es Berichte und Dokumente, wie fremd sich diese Baltendeutschen gefühlt haben. Was übrigens dann auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf viele Polen zutraf, die dann nach Oberschlesien oder nach Niederschlesien geschickt wurden, aus den an die Sowjetunion abgetretenen Gebieten. Das war ja auch eine Folge des Nationalsozialismus, Hitler-Stalin-Pakt. Stalin hat zum Großteil die damals erworbenen Gebiete behalten, als Teil der Sowjetunion, und da mussten dann 1944, 45, 46 die Polen raus und wurden in den ehemaligen deutschen Ostgebieten angesiedelt. Und auch dort war das so, die waren oft irritiert, die kamen in irgendwelche Häuser und wussten, ja, da war doch gerade jemand. Oder die Leute waren noch da, mehrere Wochen und Monate, das gab es auch. Und mussten erst dann raus, und auch da bei vielen die, ja, ein normales – wie soll man das sagen? Die einen normalen moralischen Kompass hatten oder gläubige Christen waren, die wussten auch, um Gottes willen, was ist denn das? Aber auch dort war dann dieses Schicksal etwas abgemilderter, weil man wohin kam. man hatte dann vielleicht ein Haus oder eine Wohnung. Immer noch besser als beispielsweise 1945, um das Kriegsende herum oder im Sommer, irgendwo im ausgebombten Deutschland herumzuirren, wo man gar nicht wusste, wohin und wie man überleben kann, wo auch viele Menschen gehungert haben. Wobei man auch sagen muss, auch viele Polen, diese Transporte, waren sehr schlecht organisiert. Viele sind im Winter erfroren oder litten an Hunger. Das war ja auch diese große Illusion, diese großen Bevölkerungsverschiebungen nach dem Potsdamer Abkommen, und davor eben schon der Polen auch mit entsprechenden Abkommen, das lässt sich irgendwie organisieren. Wie so eine Art Verschiebebahnhof, der eine Zug fährt von A nach B, und dann ist das Problem mit der Minderheit quasi gelöst.
FINCK: Im Potsdamer Abkommen, das Sie gerade erwähnt haben, da heißt es, Zitat, die Überführung solle „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“ erfolgen. Wir wissen alle, Sie haben es schon angedeutet, das war überhaupt nicht der Fall. Es war ein einziges Chaos.
THER: Human? Nein. Keine Zwangsaussiedlung, Vertreibung, ethnische Säuberung, wie auch immer man es bezeichnet, kann human sein. Kann nicht human ablaufen. Geordnet? Also nach dem Abkommen und dann vor allem ab dem Herbst und vor allem ab dem Winter, also ab 1946, war das tatsächlich objektiv besser organisiert, was aber das Trauma nicht unbedingt verringert hat. Auch bei uns in der Familie gab es Verwandte, die dann erst 1946 raus mussten, aus der Tschechoslowakei. Und naja, da gab es dann einen Zug, ja, und man wurde irgendwie halbwegs geordnet zum Zug geleitet, und die Leute wurden nicht mehr direkt so ausgeraubt oder verprügelt. Also war das dann auch schon ein wenig besser organisiert, aber trotzdem natürlich inhuman. Manchmal kam es übrigens bei Flucht und Vertreibung aber auch auf die Beziehungen an, die die Menschen zur jeweiligen lokalen Bevölkerung hatten, zu ihren Nachbarn. Wenn die gut waren, dann konnte es doch manchmal mit Hilfe sogar von Nachbarn ablaufen. Dass beispielsweise die geholfen haben, die Sachen zu packen und das zum Bahnhof zu bringen. Also auch dort gab es dann manchmal, allerdings selten, Gesten der Menschlichkeit.
FINCK: Diese Formulierung im Abschlusskommuniqué, dass das in humaner und geordneter Weise ablaufen sollte, war die nur nach außen gedacht, um die Bevölkerung zu beruhigen? Denen muss doch klar gewesen sein, dass man nicht zwöf Millionen „geordnet und human“ abschieben kann. In der Situation! Wo alles zerstört ist, und ohnehin schon Not und Elend herrschen.
THER: Zum Potsdamer Abkommen gibt es verschiedene Interpretationen. Manche sehen das als Schandfleck und als großes Verbrechen. Gerade die Vertriebenenverbände haben das immer verurteilt. Aus ihrer Sicht völlig nachvollziehbar. Das, was in den Paragraphen steht, war so nicht einhaltbar und war eine Illusion, die per se übrigens auch unmenschlich war. Was steckte denn dahinter? So eine Art technokratisches Denken. Ja, wir kriegen das alles organisiert, aber eigentlich ohne Rücksicht auf die Menschen, um die es ging.
FINCK: Waren denn die Großen Drei, waren die überzeugt, dass das der Friedenssicherung diente? Das haben sie ja immer behauptet: Es kann keinen Frieden geben, wenn wir noch diese deutschen Minderheiten da haben.
THER: Davon waren sie tatsächlich überzeugt, und diese Sichtweise kann man nicht ganz als falsch abtun. Es gab objektiv wirklich geringe Aussichten auf ein gedeihliches Zusammenleben von diesen ganz großen Minderheiten und den jeweiligen Titularnationen. Zum Beispiel Polen. Wenn es Potsdam nicht gegeben hätte, das Abkommen, dann hätte Polen, jetzt bei dieser Grenzverschiebung, die ja schon davor beschlossen war, da hätte Polen eine deutsche Minderheit im Umfang von ungefähr 8 Millionen gehabt. Wie hätte denn dieses Land mit 8 Millionen Deutschen existieren sollen? Völlig unmöglich. In der Tschechoslowakei, bei einer Bevölkerung von später 15 Millionen und davon 3 Millionen deutschen Minderheiten, also 20 Prozent, das hätte so nicht funktionieren können, zumal ja viele von diesen Menschen nun tatsächlich persönlich belastet waren. Sie haben sich schuldig gemacht. – Selbst wenn man es rechtsstaatlich gemacht hätte, Dänemark zum Beispiel, hat das versucht, war ja ein westliches Land und insofern ein Rechtsstaat, das war geradezu unmöglich, weil sich so viele Angehörige der deutschen Minderheiten tatsächlich schuldig gemacht hatten im Nationalsozialismus. Man muss einfach davon ausgehen, in der Tschechoslowakei, also 1935, natürlich auch unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise, haben 90 Prozent diese sudetendeutsche Partei gewählt. Sehr viele wurden dann übernommen, aber nicht alle, als Parteimitglieder in der NSDAP. Viele haben sich an der Besatzung auf diese oder jene Weise beteiligt oder haben eben ihre Nachbarn schlecht behandelt oder haben weggeschaut und haben sich unmenschlich verhalten. Ja, wie hätte man denn mit diesen Menschen zusammenleben sollen? Also das, was ich jetzt da sage, dafür haben mich die Vertriebenenverbände persönlich angegriffen und beschimpft, in den 90er Jahren schon, aber – das Tischtuch war zerschnitten. Man muss es so sagen. Und von daher war auf jeden Fall ein Teil dieser Vertreibung zwangsläufig. Allerdings hat sich dann das auch selber radikalisiert. Es gab ja mal den Plan, also gut, ungefähr eine Million von den Sudetendeutschen, die nicht so belastet waren – es gab ja auch zahlreiche Antifaschisten, Sozialdemokraten – die könnten bleiben, je nach Gebiet, die Fachleute, die man ja auch gebraucht hat und dann sogar manchmal erzwungenermaßen dabehalten hat. Also vielleicht mit einer Million hätte man das irgendwie bewältigen können. Aber dann gab es eben diesen sich selbst radikalisierten Nationalismus. So dass am Ende ja sogar die Antifaschisten häufig raus wollten, weil sie gesehen haben, dort gibt es keine Zukunft für uns.
FINCK: Lassen Sie uns mal über die so genannten wilden Vertreibungen reden. In der Forschung ist man sehr lange davon ausgegangen, dass quasi bis zu Potsdam es sehr viele spontane Gewaltausbrüche in der Bevölkerung gegeben hat. Es wird immer wieder der so genannte Brünner Todesmarsch genannt. Heute ist es eher so, dass man sagt, es gab Gewalt auch ausgehend von der Zivilbevölkerung, aber das war eher die Ausnahme. Meistens wurde das staatlicherseits unterstützt, und auch so etwas wie der Todesmarsch oder die so genannten wilden Vertreibungen waren eher von oben verordnet. Oft war es sogar so, dass die einheimische Bevölkerung dagestanden hat und gesagt, was ist das denn? Jetzt benehmen wir uns ja wie die Nazis früher. Wie sehen Sie das?
THER: Da muss man einfach verschiedene Phasen unterscheiden. Man bezeichnet das manchmal als „wilde Vertreibung“, also all das, was gegen Kriegsende geschah bzw. im Frühjahr 1945 bis zum Potsdamer Abkommen. Das hatte einen rationalen Hintergrund. Und zwar wollten vor allem Polen und die Tschechoslowakei eigentlich schon Fakten schaffen. Also bevor es eine große internationale Konferenz gibt und auch bevor die Grenzen endgültig feststanden. Es war auch nicht so ganz klar, welche Neiße, also Lausitzer Neiße oder Glatzer Neiße, die es ja dann ermöglicht hätte, dass doch ein großer Teil Niederschlesiens beim Deutschen Reich geblieben wäre. Das war noch nicht klar. Deswegen – gerade entlang der heutigen Grenze Oder und Neiße hat dann die polnische Armee sehr viele Menschen vertrieben, also dort eigentlich schon Fakten geschaffen. In der Tschechoslowakei war es ganz unterschiedlich. Je nach Ort, zum Teil auch noch mit Rache verbunden, also als Abrechnung, zum Teil übrigens, das muss man eben auch so klar sagen, mit Nazifunktionären. Aber dann ging es auch schon manchmal um Eigentum, beispielsweise dass Leute rausflogen, weil zwei, drei Häuser weiter jemand ein Auge auf den Besitz geworfen hat und vielleicht das Haus gerne haben wollte. Also ganz verschiedene Motive. Also Fakten schaffen und dann zum Teil eben auch Vergeltung, anfangs durchaus gefördert von oben. Also im Prinzip waren die Deutschen im ersten Halbjahr 1945 schon so etwas wie Freiwild.
FINCK: Vogelfrei.
THER: Deswegen sind ja auch so viele geflohen, weil sie das erahnt haben. Erst nach und nach brachte man das wieder unter Kontrolle. Und da hat das Potsdamer Abkommen doch eine gewisse positive Rolle gespielt, weil – „ordnungsgemäß“ hieß eben auch, darauf hat man sich berufen. Gerade die Westalliierten, aber dann auch die sowjetische Besatzungsmacht, die hatten ein Riesenproblem, wenn die Menschen vollkommen ausgeplündert, krank, also eigentlich als Versorgungsfälle ankamen. Die mussten sich ja darum kümmern und wollten sie auch nicht verhungern lassen und ein totales humanitäres Desaster verursachen. Von daher gab es dann schon eine gewisse Mäßigung und dann auch von oben Anordnungen und klare Signale, das muss jetzt aufhören mit diesen massenhaften Vergeltungsaktionen. Und das hat dann auch in der Tat nachgelassen, also da kann man doch sehen, wie viel das ausmacht, wenn von Regierungen oder eben auch Armeeeinheiten, von den Nationalausschüssen vor Ort, von den sowjetischen Armeekommandaturen – ob dort eher gehetzt wurde und man das eigentlich noch befeuert hat oder ob man ermäßigend eingegriffen hat und dann vielleicht sogar den einen oder anderen Plünderer vor Gericht gestellt hat und eben geschaut hat, dass das jetzt aufhört.
Musikakzent
FINCK: Vor unserem inneren Auge erscheint beim Stichwort „Flucht und Vertreibung“ so ein Bild. Das ist der – in vielen Filmen spielt das eine Rolle, auf vielen Buchcovern – das ist der Handkarren, das sind alte Frauen, alte Männer, alte Frauen mit Kopftüchern, der Rucksack, das Bündel, das sind Kinder an der Hand. Entspricht das der Realität? Sind die meisten zu Fuß gekommen?
THER: Viele sind zu Fuß gekommen, ganz Privilegierte, wie zum Beispiel Gräfin Dönhoff, auch das soll erwähnt sein, sie war sozusagen aus gutem Hause, und da hatte man eben ein Pferd und konnte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, also die Eliten oder auch Nationalsozialisten haben es zum Teil geschafft, quasi unter privilegierten Bedingungen zu fliehen, zum Teil sogar noch mit dem Auto. Auch das gab's, das wurde natürlich danach viel weniger erwähnt. Manche haben schon 1944 geahnt, was auf sie zukommt, und haben dann sich auf den Treck begeben, aber eben noch rechtzeitig, und konnten zumindest einen Teil des Hab und Guts retten. Diese Fotos, die heute so im Vordergrund stehen, die auch mein Buchcover zieren, die sind überwiegend entweder vom Frühjahr 1945, Nachkriegsende, oder dann aus der zweiten Jahreshälfte 1945. Die bilden einen Teil dieser Flucht und Vertreibung ab Also mit Kindern an der Hand und mit den Kinderwägen auf dem Weg zum Bahnhof, wo der Zug dann gewartet hat, war das natürlich auch noch gewissermaßen das verbreitetste Schicksal, also insofern treffen diese Bilder schon zu.
FINCK: Der Publizist und Historiker Harald Jähner hat in seinem Buch „Wolfszeit“ über die ersten zehn Jahre, 1945 bis 1955, auf noch einen blinden Fleck hingewiesen. Und das ist etwas, was ich auch gelernt habe, jetzt in der Vorbereitung unseres Gesprächs. Ich dachte immer so an die Flüchtlinge, die aus dem Osten kommen, der Strom von Menschen, was wir uns klar machen müssen, dass es nicht nur einen Gegenstrom gab von, ich glaube, zehn Millionen Zwangsarbeitern, die fast zeitgleich zurückgingen. Dann kamen die Wehrmachtsoldaten. Es muss ein unfassbares regelrechtes Gewimmel gewesen sein. Ein Durcheinander, verstopfte Straßen, ein Hin und Her. Also es waren nicht einfach nur Ströme aus dem Osten. Kam es da eigentlich zu Begegnungen von Soldaten, Zwangsarbeitern, freigelassenen KZ-Häftlingen und den Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem Osten?
THER: Häufig war das so, dass in der Tat der Zug erstmal in die eine Richtung fuhr, nach Osten, und zwar, beispielsweise, mit entweder Kriegsheimkehrern, also ehemalige Soldaten. Aber dann vor allem sehr viele ehemalige Zwangsarbeiter, also Richtung Polen, nach Osten, und dann auf dem Rückweg nach Westen eben gefüllt mit Flüchtlingen und Vertriebenen. Begegnungen muss es gegeben haben, auf den Bahnhöfen, das ist klar, in der Regel spielt das aber keine so große Rolle. Wichtiger waren die Begegnungen vor der Ausweisung, wo man noch eine ganze Weile lang gemeinsam die alten Siedlungsgebiete bewohnt hat, das waren die, würde ich sagen, alles in allem die häufigeren und vor allem die längeren und intensiveren Begegnungen, aus denen sich dann zum Teil ja auch Kontakte ergeben haben. Später, also ab den 60er, 70er Jahren, wo man wieder reisen konnte und dann vielleicht wieder zum ehemaligen Haus hingefahren ist, und dann wusste man, das sind doch die Leute, die damals angekommen sind, also auch diese Fälle gab es, und diese Menschen sind dann zwar manchmal erschrocken, weil sie dann dachten, oh, jetzt kommen die Deutschen wieder, und halten denn überhaupt die Grenzen, die 1950 festgelegt wurden, damals in Abkommen oder dann ein Stück weit bestätigt wurden, der Brandt und die Ostpolitik, aber ist das denn dauerhaft? Also die hatten ja auch Angst. Aber dann gab es auch wieder Begegnungen während dieser groß angelegten Transporte, wenn man so will, der Verschiebebahnhof von 1945, aber eben auch 1946, das waren denn eher so kurzfristige Begegnungen, wenn überhaupt. In den meisten Fällen muss man auch sagen, war es vielleicht ganz gut, dass sich diese Menschen nicht begegnet sind, denn, oh, nach fünf Jahren Zwangsarbeit und häufig ständiger Misshandlung, was hätten die sich denn dann zu sagen gehabt, mit diesen Flüchtlingen oder dann später Vertriebenen?
FINCK: Ich würde an dieser Stelle auch gerne mal eine persönliche Geschichte einflechten, zum Thema Begegnungen, eine ganz schreckliche Begegnung. Meine Großmutter war 1945, ab Januar 1945 schon, aus Schlesien auf der Flucht, mit zwei Kindern. Sie war evakuiert worden aus einer bombardierten Großstadt in Deutschland, und sie landete im Frühjahr 1945 in einem Dorf im Bayerischen Wald. Und was dort eines Nachts geschah, das sagt auch viel über die Hierarchie zwischen den Einheimischen dort im Dorf und den Geflüchteten, worüber wir schon ganz am Anfang gesprochen haben, aus. Es war nämlich so, dass einer der entsetzlichen Todesmärsche mit KZ-Häftlingen durch dieses Dorf getrieben wurde von den Bewachern, und viele starben dort auch in dem in dem Dorf in jener Nacht, und da blieben jetzt diese Toten zurück, die verscharrt werden mussten oder sollten, um Spuren zu verwischen. Und wer musste das tun? Wer musste die verscharren? Nicht die Dorfbewohner, sondern die Flüchtlingsfrauen. Die wurden also nachts aus ihren Betten in ihren Unterkünften geholt, darunter eben meine Großmutter. Man drückte ihnen eine Schaufel in die Hand, und dann mussten sie die Toten begraben, und die allermeisten haben darüber nie gesprochen. Meine Großmutter hat darüber gesprochen und das war eine ganz traumatische Erfahrung und ein schreckliches Erlebnis, von dem ich schon als Kind gehört habe auch.
THER: Diese Trecks von KZ-Überlebenden, die waren viel häufiger, als man wusste und vor allem erzählt hat. Nun ist immer die Frage, was kann man erzählen? So ein schrecklicher Anblick, aber dann eben auch der Schrecken, dieses massenhafte Sterben. Also ich weiß nicht, ob mir so etwas leicht über die Lippen käme, wenn ich es miterlebt hätte. Zum Glück nicht. Was Sie jetzt dort erzählen, dass ein Teil der lokalen Bevölkerung dann auch noch abkommandiert wurde, um diese KZ-Häftlinge zu verscharren, ist natürlich besonders schrecklich und auch bizarr. Wie gesagt, diese Trecks gab es überall. Übrigens auch dort, wo mein Vater sich am Kriegsende befand, das war zunächst noch woanders, in Thüringen wegen einem Internat, aber dann auch in Nordböhmen. Auch dort gab es das, selbstverständlich. Darüber wurde generell wenig gesprochen. Aber mir wurde das auch erzählt. Dann natürlich die auch noch verscharren zu müssen, ist doppelt brutal. Ich kann nur bestätigen, was Sie sagen. Klar, da gab es Hierarchien vor Ort. Und häufig war es ja so, dass die Flüchtlinge dort untergebracht waren, wo ehemalige Zwangsarbeiterbaracken waren. Also auf Industriegelände. Dort entstanden ja dann wiederum relativ häufig die sogenannten Flüchtlingsstädte, also Neugablonz etc. Und natürlich waren die ganz unten auf der Hierarchie. Wenn es keine Zwangsarbeiter mehr gab, dann hatte man die Flüchtlinge, und die waren dann eben am unteren Ende der sozialen Leiter und wurden dann eben für alle möglichen Dinge herangezogen. Das war die damalige soziale Hierarchie.
Musikakzent
FINCK 2021 wurde in Berlin das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung und Versöhnung“ eröffnet. Dort ist auch im Schaufenster ein riesengroßes Foto, und das enthält genau das, worüber wir gerade gesprochen haben, die Flüchtlingsfrauen mit Kopftüchern und Rucksack, die kleinen Kinder und der Handkarren, der beladen ist mit Gerümpel. Lange Kontroversen sind diesem Zentrum vorausgegangen. Sie haben sich auch damit befasst. Warum war das schon im Vorfeld so umstritten, Herr Ther? Was waren denn da die Hauptkritikpunkte?
THER: Die Gründungsgeschichte war unglücklich. Schon allein aufgrund derer, die dort das Sagen hatten. So jemand wie Erika Steinbach hätte dort nie eine tragende Rolle spielen dürfen. Die Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten, die dann von sich behauptet, sie sei vertrieben, aber der Vater kam eigentlich aus Hessen, was ist denn da vertrieben? Ja, sie wurde vertrieben, weil dann eben die Besatzungsherrschaft geendet hat. Weil der Krieg verloren war. Deswegen musste die Familie aus den besetzten Gebieten, in dem Fall Polens, dann eben wieder raus. Dann diese ganze Geschichte in den 90ern, wo die Annäherung damals ja doch boykottiert wurde. Also es ging um diese Forderungen nach Rückübertragung von Eigentum, wo man auch sagen muss, ja, 50 Jahre später, auf welcher Grundlage? Sollen dann die, die dort angesiedelt wurden, was zahlen? Muss man die wieder in Angst und Schrecken versetzen? Dann auch beim EU-Beitritt, eigentlich eine antipolnische oder auch antitschechische Linie. Also ich fand das untragbar, dass dann so jemand oder eben auch andere Funktionäre, die das so stark unterstützt haben, eine tragende Rolle spielen. Man hat das auch gesehen an den Inhalten. Ganz traditionell sollte damals eine rein nationale Opfergeschichte erzählt werden. Aber – das wurde dann schon ausgeweitet. Man hat ja dann verstanden, und natürlich haben das auch andere vertriebenen Funktionäre verstanden, dass es eine parallele Verschiebung gab, also dort, wo die Deutschen raus mussten, dann Polen hinkamen, die selber rausmussten. Also eigentlich eine doppelte Flucht und Vertreibung, eben diese große Ost-West-Verschiebung. Aber da gab es auch einsichtige Menschen, die das verstanden haben. Zum Beispiel Hartmut Koschyk, CSU-Abgeordneter. Und ja, diese Versöhnler haben an Einfluss gewonnen und letztlich kam das in professionelle Hände. Und ich glaube, das ist jetzt ganz in Ordnung. Dass man einfach versteht, es gab eine große Vorgeschichte, es ist eine europäische Geschichte. Letztlich ist es eine Folge der nationalsozialistischen Verbrechen.
FINCK Zum Abschluss möchte ich noch einmal den Bogen zu unserem Einstieg schlagen, der Ankunft der syrischen Flüchtlinge im Jahr 2015. Die Frage ist, die ich mir auch oft gestellt habe schon, haben Menschen, deren Familiengeschichte von Flucht und Vertreibung geprägt ist, also die Vertriebenen selbst oder ihre Kinder oder ihre Enkel, haben die damals anders auf die neuen Geflüchteten reagiert? Also allgemein formuliert, gibt es Hinweise, haben Sie in Ihrer Forschung Hinweise gefunden darauf, dass die eigenen Fluchterfahrungen eher zu mehr Empathie führen, oder begünstigen sie womöglich eher gerade Abgrenzung oder Ressentiments?
THER: Also die das bei vollem Bewusstsein, also fast schon als Erwachse miterlebt haben, Jahrgang 1930 und älter – 2015 waren die dann ja auch schon mindestens 80, eher 85. Also waren’s eher die nächsten Generationen, die zum Teil schon mit mehr Empathie darauf reagiert haben. Klar. Weil sie ja wussten, aus der Familiengeschichte heraus, was das bedeutet. Und wie wichtig das ist, dass einem am Anfang jemand hilft. Also diese Empathie gab es zum Teil schon. Es gibt auch Äußerungen, ja. Dass Menschen gesagt haben, ja, ja ich geh jetzt da zum Bahnhof und helfe denen, weil …
FINCK Weil meine Eltern das auch erlebt haben.
THER: Ja. Genau. Weil das eben auch mal in Deutschland so war. Aber es gab natürlich auch umgekehrte Statements, was auch nicht unbedingt überraschend ist. Es hängt eben von der politischen Einstellung ab oder auch von menschlichen Grundwerten. Also wenn man das wirklich wissen wollte, 2015, 2016, da müsste man ein breiteres Panel anlegen eigentlich, ja, also von den Menschen, die damals geholfen haben. Was ist denn der biografische Hintergrund? Und nach den Motiven fragen. Dann könnte man das näher bestimmen. Also damals spielte diese Empathie bestimmt eine Rolle, aber... in welchem Ausmaß, ob tatsächlich statistisch nachweisbar? Ich hätte den Verdacht, dass: Ja. Aufgrund dieser vielen Äußerungen. Aber ich bin Wissenschaftler. Wenn, dann würde ich es gerne genauer wissen.
FINCK: Herr Ther, ganz herzlichen Dank für unser Gespräch heute.
THER: Ja. Ich danke Ihnen.
Musik
Was war – was wird
Der historycast des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands
Staffel 4: Demokratie und Migration. Wege und Stationen in der deutschen Geschichte
Folge 10: Flucht und Vertreibung 1945
Almut Finck im Gespräch mit Philipp Ther
Eine Kooperation mit der Stiftung Orte der Deutschen Demokratiegeschichte
Neuer Kommentar