Juden, Armenier, Tutsi. War der Holocaust singulär?

Shownotes

War der Holocaust einmalig oder kann man ihn mit den Genoziden an Armeniern oder den Tutsi in Ruanda vergleichen? Kristin Platt vertritt dazu diese These: "Eigentlich ist immer verglichen worden in der Holocaust-Forschung. Sonst könnten wir die Besonderheit eines Ereignisses gar nicht klären, wenn es nicht vergleichende Argumentation gibt. Aber Vergleichen macht eben nicht vergleichbar." In dem Gespräch diskutieren Kristin Platt und Heiner Wember den aktuellen Forschungsstand und die Kontroversen um eine Vergleichbarkeit der drei Völkermorde.

Kristin Platt ist Professorin am Institut für Diaspora- und Genozid-Forschung an der Ruhruniversität Bochum. Sie ist Sozialpsychologin. Gerade ist ein Buch von ihr erschienen mit dem Titel Die Namen der Katastrophe: Holocaust und Genozid als sprachliche und soziale Zeichen. Kristin Platt ist außerdem Mitherausgeberin der Zeitschrift für Genozid-Forschung.

Dr. Heiner Wember ist Radiojournalist und Historiker aus Münster.

Die didaktischen Materialien finden Sie hier: [https://historycast.de/]

Staffel 3, Folge 5 des historycast - was war, was wird? des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands e. V. [http://geschichtslehrerverband.de]

Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat.

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PLATT: Versöhnung, ein ganz wichtiger Begriff auch in Ruanda, sich an Beispielen zu orientieren, und diese Politik ist sehr vehement und sehr staatlich institutionalisiert realisiert worden. Ich bin nicht sicher, ob das, wenn vielleicht wirklich Paul Kagame einmal nicht mehr lebt, ob das nicht brechen wird. Es gibt sehr viel Kritik und auch Unzufriedenheit mit den Gerichten, dass auch viele Überlebende sagen, nicht nur das war eine große Scham, das war schwierig, sondern auch nach wie vor die Erfahrung als nicht bearbeitet ansehen. Also, Ruanda ist jetzt nicht ein Land, in dem Geschichte beispielhaft aufgearbeitet worden ist und gezeigt worden ist, wie man mit Geschichte umgeht. Ruanda hat diesen Weg mit einer sehr stark staatlich institutionalisierten Politik begangen, hier ein Geschichtsnarrativ durchzusetzen? WEMBER: Was passiert, wenn der Präsident nicht mehr da ist? Dann könnten alte Konflikte wieder aufbrechen. Ein bisschen wie in Jugoslawien, solange Tito da war, war der Deckel drauf. Ein Völkermord ist ein Geschehen, was auf Generationen traumatisiert. PLATT: Es geht auf Generationen! WEMBER: Letzte Frage: Frau Platt, wie sieht es denn mit dem deutschen Schulunterricht aus? Wäre es sinnvoll, da mehr zu vergleichen: Holocaust und andere Völkermorde wie in Ruanda und Armenien, oder sollte man die Singularität in den Vordergrund stellen? PLATT: Eigentlich ist die Singularität gar nicht Ziel von Forschung. Also, es ist Ausgangspunkt, Warum sollte man das bestreiten? Was, was bringt das? Was ist das Ergebnis, wenn man, wenn Singularität bestritten wird? Das Ergebnis kann ja nur sein, ein Ergebnis unter anderen, und die Prozesse, die sozialen und historischen Prozesse, die zum Holocaust geführt haben, sind gar nicht spezifisch deutsch, sondern liegen auf einer generalisierten Ebene. Insofern zeigt sich schon diese Frage um Singularität und Vergleichbarkeit also eigentlich eine Frage, die mit realem historischem Lernen und Lehren und Forschen nichts zu tun hat, sondern eine Frage der Diskurse sind, der Perspektiven außerhalb des wirklich historischen Lernens. Wir können nur historisch lernen, was singular ist, jede Krönung, jeder Heinrich der Achte ist nur einmalig. Heute sind wir ja in einer Situation, in der wir Kinder und Schülerinnen und Schüler haben, die selber aus Gewalterfahrungen und aus Genozid-Erfahrung kommen. Das betrifft ganz klar Kinder und Schülerinnen und Schüler schon, die mit einer Erfahrung, einer Geschichte des Kosovo kommen, Jesidinnen und Jesiden, Tamilen, die auch in den Schulklassen sind. Es passiert ja in den Schulklassen, dass da Kinder stehen. Ich habe das selber erlebt. Kinder, die dann aufstehen und sagen, also Schluss jetzt hier mit dem Holocaust, die waren in Sekundentod im Lager, unsere Leute sind drei Tage gegangen, und das hat viel länger gedauert. Und dann stehen Lehrerinnen und Lehrer vor dem Problem und müssen sich auf diesen Vergleich und auf Argumente einlassen. Und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, hier in der Schule den Holocaust und unterschiedliche Genozide zu behandeln, nebeneinander als jeweils singulare Ereignisse mit ganz unterschiedlichen historischen und sozialen Voraussetzungen und Einbindung und zu anderen Zeiten, die Strukturelemente sicherlich auch vergleichbar haben. Wenn wir diese nebeneinander vernünftig und einzeln bearbeiten, dann haben wir auch eine Chance, etwas gegen diese symbolischen Legitimationen zu setzen. WEMBER: Also, da gibt's noch was zu tun. PLATT: Oh ja, gibt's ja viel zu tun. Das betrifft unsere Schulbücher, das betrifft den Raum für Workshops und überhaupt für Unterricht. Das betrifft aber auch die Frage der Sicherheit für Lehrerinnen und Lehrer. Wie? Wie gehe ich eben mit den unterschiedlichen Genoziden um? Ja, ohne vergleichbar zu machen und vergleichen, ohne zu relativieren, da braucht es ganz fraglos auch Sprechsicherheit. WEMBER: Frau Platt, vielen Dank für ihre Gedanken und für das Gespräch. PLATT: Vielen Dank. Das war sehr so im Kern dessen, was auch wirklich heute diskutiert wird. Sprecherin: Was war – was wird Der historycast des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands Staffel 3: Judentum in der Geschichte: Zwischen Integration und Antisemitismus Folge 5: Juden, Armenier, Tutsi War der Holocaust singulär? Heiner Wember im Gespräch mit Kristin Platt Gefördert vom Bundesministerium des Innern und für Heimat. WEMBER: Wenn Sie sich mit dem Thema der gerade gehörten historycast-Folge noch weiter auseinandersetzen wollen: Hören Sie doch mal beim WDR-Zeitzeichen rein. Dort finden Sie eine Reihe von spannenden Sendungen zu ähnlichen Themen. Die Links dazu haben wir in den Begleittext zu dieser Folge gestellt.

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